Mord unter Freunden - Ernestam, M: Mord unter Freunden - Kleopatras Kamm
Miranda.
»Wohin fahren wir?«
Michael antwortete nicht, und Fredrik wiederholte die Frage auch nicht. Stattdessen betrachtete er das Grau in Grau vor der getönten Windschutzscheibe. Die Straße führte sie Richtung Süden, Richtung Södertälje. Fredrik überlegte, wohin es wohl gehen sollte, ohne dass es ihm sonderlich wichtig gewesen wäre. Zweifellos verfolgte Michael einen Zweck mit diesem
Ausflug. Das genügte Fredrik, um die Augen zu schließen und an etwas Warmes zu denken.
Er erwachte, als das Schnurren aufhörte. Michael hatte vor einem kleinen weißen Haus mit Garten gehalten. Eine Katze schmiegte sich um die Hausecke und verstärkte den Eindruck von Märchen und reifen Himbeeren. Dann sah Fredrik die neugebaute Holzrampe, die zur Haustür führte.
»Wo sind wir?«
Michael stieg aus, ohne zu antworten. Fredrik folgte ihm und atmete den Geruch von feuchtem Wald ein. Michael hob die Arme.
»Wunderbar, nicht wahr? Ein paar Kilometer von der Großstadt entfernt, und sofort hat die Luft eine andere Zusammensetzung. Ich frage mich im Übrigen, ob man das, was wir in der Stadt einatmen, überhaupt als Luft bezeichnen kann.«
»Das ist keine Antwort auf meine Frage.«
Michael lächelte.
»Das hier ist das Haus meiner Tochter. Ich habe es für sie gekauft, als mein Schwiegersohn sie verlassen hat und sie ausziehen musste. Sie hat sich das Haus natürlich selbst ausgesucht. In Anbetracht der Umstände ist es vielleicht nicht so praktisch, aber man kann Stella keine Vorschriften machen, wo sie wohnen soll. Du wirst gleich verstehen, warum.«
Fredrik sah sich um. Der Garten war klein, aber sehr gepflegt. Die alten Apfelbäume schienen regelmäßig beschnitten zu werden, und die Johannisbeer- und Rosenbüsche würden schon in wenigen Monaten wieder blühen und Früchte tragen. Wo der Garten aufhörte, begann der Wald, und Fredrik überlegte gerade, wie weit es wohl zum nächsten Nachbarn war, als er in einiger Entfernung ein paar Häuser ausmachte. Michaels Tochter wohnte vielleicht recht einsam, aber andere Menschen waren dann doch nicht allzu fern. Fredrik ging zu einem Apfelbaum und strich vorsichtig über den Stamm, der sich rau und etwas feucht anfühlte. Da hörte er die Stimme.
»Ich hätte euch einander ohnehin irgendwann vorgestellt. Aber ich mag Besucher, die die Initiative ergreifen. Der Baum heißt Rufus. Mein Name ist Stella.«
Er drehte sich um. Es verwirrte ihn, dass die Stimme von unten zu kommen schien. Dann sah er die großen Räder und begriff, warum.
Die Frau im Rollstuhl war klein und zierlich, aber die Art, wie sie ihn mit leicht erhobenem Gesicht ansah, ließ sie selbst im Sitzen größer erscheinen, als sie war. Sie hatte die hohen Wangenknochen und braunen Augen ihres Vaters, aber was bei Michael knochig und scharf war, war bei ihr nur weich angedeutet, als hätte ein kleines spitzes Messer an hellem, duftenden Holz gearbeitet. Ihre Haut war bleich, und Fredrik fühlte sich an die durchsichtige Haut seiner Mutter erinnert. Als sie lächelte, sah er, dass ihre Fältchen um die Augen, nicht nur über ihr Alter, sondern auch über ihr Temperament Auskunft gaben. Sie trug ihr blondes Haar offen. Es schien ihr bis zur Taille zu reichen. Sie streckte die Hand aus und drückte kräftig die seine. Ihre Hand war warm. Irgendwie hatte er sich eingebildet, sie müsste kühler sein.
»Fredrik«, sagte er und überlegte, was wohl von ihm erwartet wurde. Sie lächelte, als wisse sie, was er dachte.
»Papa rief an und sagte, er würde einen guten Freund mitbringen. Aber ich habe schon geahnt, dass er nicht verraten würde, wo der Ausflug hingehen würde. Er ist nicht sonderlich mitteilsam, am allerwenigsten, wenn es um mich geht. Aber das hast du vielleicht schon gemerkt.«
»Ich wusste, dass Michael eine Tochter hat, mehr aber auch nicht«, erwiderte Fredrik. Er fror in seiner dünnen Lederjacke. Stella schien überhaupt nicht zu frieren, obwohl sie nur eine weiße Bluse und Jeans trug. Die Schnürsenkel ihrer Turnschuhe waren nicht zugebunden.
»Das sieht Papa ähnlich. Er redet nicht gerne über Privates. Er redete, eigentlich überhaupt nur, wenn es unbedingt nötig
ist. Er ist immer sehr direkt, und es fällt ihm sehr schwer, wie die Schweden um alles herumzureden. Deswegen wirkt er in gewissen Situationen sicher unsensibel.«
»Das habe ich nie so gesehen. Aber ich mache auch nicht gerne viele Worte, wenn es um mich geht. Vielleicht ist das ja natürlich.«
Zu spät erkannte er,
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