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Mord unter Freunden - Ernestam, M: Mord unter Freunden - Kleopatras Kamm

Titel: Mord unter Freunden - Ernestam, M: Mord unter Freunden - Kleopatras Kamm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Ernestam
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Behinderung erfahren, wenn sie jemanden mit einem Handicap treffen. Vielleicht liegt das an dem instinktiven Wunsch, sich selbst zu schützen. Weiß man, wie es zugegangen ist, kann man angemessene Vorsichtsmaßnahmen ergreifen. Gegen eine Behinderung wie die meine kann man sich, glaube ich, nicht schützen. Ich bin von einem Mann angefahren worden, der zu viel getrunken hatte, bevor er sich ans Steuer setzte. Es stellte sich heraus, dass er anderthalb Promille im Blut hatte. Er konnte nicht mehr viel sehen, und mich schon mal gar nicht.«
    »Stella, das ist ja furchtbar. Das tut mir leid. Ich …«
    »Du brauchst nichts zu sagen, Fredrik. Mir ist klar, dass du das grauenvoll findest. Mir geht es nicht anders. Aber noch schlimmer ist, dass mich der Mann, der das getan hat, anschließend nie im Krankenhaus besucht hat. Er hat keinen
Brief geschrieben, sich nie entschuldigt. Das klingt vielleicht bizarr, aber das ist fast noch schlimmer, als dass ich nicht mehr gehen kann. Von demjenigen, der es verschuldet hat, nie gesagt zu bekommen, dass es ihm leidtut. Dazu kommt, dass er sich seiner Versicherung gegenüber damit rausreden wollte, dass ich nicht auf dem Zebrastreifen gegangen sei. Das stimmte zwar nicht, aber Aussage stand gegen Aussage.«
    Auf Stellas Wangen waren zwei rosa Flecken aufgetaucht.
    »Ich war auf dem Weg zu einem Restaurant. Es war spät, aber mein Mann hatte Überstunden gemacht, und wir hatten etwas zu feiern. Es war Freitag, und die Straßen, dort wo wir wohnten, waren leer. Alle in dem spießigen Vorort saßen hinter vorgezogenen Gardinen vor dem Fernseher. Ich war schon fast bei der U-Bahn-Station angelangt, da bog ein Auto um die Ecke. Ich überquerte die Straße, wie gesagt auf dem Zebrastreifen, und dachte noch, der fährt wirklich verdammt schnell und außerdem in Schlangenlinien, da kam er schon auf mich zu. Dann erinnere ich mich erst wieder daran, wie ich im Krankenhaus aufwachte, überall Schläuche und geronnenes Blut im Gesicht. Alles tat mir weh. Später wurde mir dann klar, warum.«
    Ihr fiel das Haar wieder ins Gesicht, und sie schob es beiseite.
    »Eine Weile lang glaubte niemand, dass ich überleben würde. Dann sah es so aus, als bliebe ich für den Rest meines Lebens ans Bett gefesselt. Als sich dann herausstellte, dass ich mit Ausnahme meiner Lähmung wieder ganz gesund werden würde, hatte ich das Gefühl, eine zweite Chance erhalten zu haben. Vielleicht gleicht auch deswegen die Dankbarkeit für das, was mir geblieben ist, die Trauer über das Verlorene aus. Die Trauer darüber, die Beine nicht mehr bewegen zu können. Und die Trauer über den Verlust meines Mannes natürlich.«
    »Deines Mannes?«
    »Als ihm klar wurde, dass sie nie mehr würde gehen können,
hat er sie verlassen. Das Schwein.« Michaels deutscher Akzent war plötzlich sehr deutlich. Stella beugte sich im Rollstuhl vor und strich ihm über die Wange.
    »Sag das nicht, Papa. Nicht jeder verkraftet es, ständig von einem Kranken umgeben zu sein. Natürlich hatte ich gehofft, dass sich mein Mann anders entscheiden würde. Er wachte ständig an meiner Seite, das muss man ihm lassen. Er verfolgte meine Fortschritte und freute sich über sie. Irgendwann rief ich ihn an und bat ihn, rasch in die Klinik zu kommen, weil ich ihm etwas Fantastisches mitzuteilen hätte. Er kam direkt von der Arbeit und sah mich im Rollstuhl sitzen. Ich bat ihn, mir dabei zu helfen, die Haare zu waschen, und kam mir fast wieder attraktiv vor, und ich glaube, dass er das auch fand. Er stand einfach da und sah mich lächelnd an. Dann fragte er mich, was ich ihm erzählen wollte. ›Ich kann immer noch Kinder bekommen‹, sagte ich. ›Sie sagen, dass ich immer noch Kinder bekommen kann.‹ Ich beobachtete ihn und dachte, er würde sich freuen, aber stattdessen schien er schockiert zu sein. ›Ich dachte, du würdest mir zeigen, dass du wieder gehen kannst‹, sagte er. ›Nein‹, erwiderte ich. ›Ich werde nie wieder gehen können.‹ In diesem Augenblick wusste ich, dass ich ihn verloren hatte.«
    Fredrik wusste nicht, was er entgegnen sollte. Er schaute aus dem Fenster und folgte mit dem Blick einem Vogel, der Richtung Horizont verschwand. Vielleicht ein Zugvogel, der sich verspätet hatte. Einer, der die Heimat verließ, wenn es zu kalt wurde, und wärmere Landstriche aufsuchte. Stella seufzte.
    »Früher verlief mein Leben in Riesenschritten. Im Krankenhaus musste ich lernen, mich mit winzigen Stückchen zu begnügen. Ich saß auf der

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