Mord Wirft Lange Schatten: Mitchell& Markbys Dreizehnter Fall
hörte ihn ächzen, wie vom Donner gerührt von dem Anblick, der sich ihm bot. Damaris lächelte in sich hinein, ein trockenes, bitteres Lächeln.
»Das Porträt!« Der junge Mann drehte sich mit leuchtenden Augen zu ihr um
»Ich erkenne ihn! Ich habe eine alte Fotografie. Es ist …«
»William Oakley«, sagte Damaris. Sie blickte auf das Bild auf der anderen Seite des Zimmers. Die Sonne war unterdessen fast völlig untergegangen, und ein letzter Lichtstrahl berührte den goldenen Rahmen. Der Porträtierte sah aus dem Bild auf die beiden Menschen herab, hübsch, unzuverlässig, der dunkle Blick spöttisch, die roten Lippen zu einem schwachen Lächeln verzogen, das keinerlei Wärme zeigte. Eine Hand steckte nach napoleonischer Art unter dem Jackenrevers, die andere lag auf einem Buch.
»Mein Großvater, dein Urgroßvater«, sagte Damaris.
»Mir fiel ein, dass das Bild irgendwo im Haus eingelagert war. Ich habe es gesucht und gefunden und abgestaubt und in dein Zimmer gehängt … Ich hielt es für angebracht«, fügte sie hinzu. Sie ging nach unten in die Küche und ließ ihn allein im Turmzimmer zurück, damit er in Ruhe auspacken konnte. Florence war unten und schnitt dünne Brotscheiben zum Abendessen, das heute aus Sandwichs mit Hefeaufstrich bestehen würde.
»Alles in Ordnung?«, fragte Florence, als ihre Schwester die Küche betrat, und legte das Brotmesser beiseite, das so alt und so benutzt war, dass die Klinge an ein dünnes Rapier erinnerte. Alles in Ordnung ist nicht der richtige Ausdruck, dachte Damaris. Alles war alles andere als in Ordnung. Das sprichwörtliche Pech der Oakleys trieb es mal wieder auf die Spitze.
»Ich habe ihm gesagt, dass er zum Feathers Pub gehen muss, falls er ein warmes Abendessen haben möchte«, berichtete Damaris und nahm das Buttermesser zur Hand, um die Scheiben zu schmieren.
»Vielleicht hat er bald die Nase voll und verschwindet wieder«, sagte Florence optimistisch.
»Er wird sich ganz bestimmt langweilen. Das Essen im Feathers ist sicher schwer verdaulich; sie frittieren alles in Fett. Was das Turmzimmer angeht, es ist kalt und ungemütlich, selbst mitten im Sommer.«
»Hoffen wir, dass du Recht hast«, sagte Damaris grimmig.
»Falls nicht, müssen wir etwas unternehmen.«
KAPITEL 7
DIE GERICHTSVERhandlung gegen William Price Oakley, angeklagt wegen Mordes an seiner Frau Cora im vergangenen Jahr, wurde heute unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit eröffnet. Die Zuschauerreihen waren überfüllt, und schon seit Tagesanbruch hatte sich vor dem Gerichtsgebäude eine wartende Menschenmenge versammelt. Auch die Pressebox war sehr voll, und einige Gentlemen der Presse sind aus London herbeigereist. Sogar ein Reporter der von Baron von Reuter gegründeten internationalen Nachrichtenagentur hatte sich eingefunden, um mit Papier und Bleistift festzuhalten, was anschließend um die ganze Welt geschickt wurde. So groß ist das morbide Interesse, das Mordprozesse überall auf der Welt erwecken.
Stanley Huxtable, ein rothaariger, untersetzter junger Mann und der Gerichtsreporter der Bamford Gazette, war einigermaßen erfreut über diese Abwechslung. Er berichtete im Auftrag seines Arbeitgebers von allen möglichen Verhandlungen. In der Regel waren es kleine Vergehen, und der Missetäter musste sich vor dem Schiedsgericht verantworten. Bamford war kein kriminelles Pflaster, es sei denn, man zählte die gelegentlichen unbedeutenden Diebstähle und die üblichen Schlägereien und randalierenden Betrunkenen am Zahltag hinzu. Es geschah nicht häufig, dass Stanley die Gelegenheit erhielt, über einen Mordprozess zu berichten und in seiner Eigenschaft als Reporter der Verhandlung in Oxford beizuwohnen. Bei einem Mord konnte man als Journalist so richtig aus sich herausgehen. Für die Bewohner Bamfords war Oakley ein Einheimischer. Sie wollten jedes Detail wissen, und es war Stanleys Aufgabe, diese Details zu liefern. Am Ende jedes Tages jagte er mit Material für die besondere Spätausgabe zurück, die extra herausgegeben wurde, um über den Prozess zu berichten.
Bamford teilte seine Neugier mit der ganzen restlichen Nation. Man musste nur einen Blick auf die – zugegebenermaßen kleine – Pressebox werfen, die bis zum Bersten voll war mit schwitzenden Reportern. Direkt neben Stanley saß der Mann von Reuters und wischte sich mit einem fleckigen Taschentuch die verschwitzte Stirn und den Nacken trocken.
Stanley nahm seinen Bowler ab und legte ihn in den Schoß, dann
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