Mord zur Bescherung
hat, den trugen sie unter dem Arm.«
»Nun machen Sie schon voran.«
»Jedenfalls«, fuhr er fort, während sein Gesicht langsam wieder die normale Farbe annahm, »dann fiel ihnen ein, dass sie noch auf die Toilette wollten. Und dabei waren ihnen die unteren Kostümhälften im Weg. Also haben sie auch die Pferdebeine ausgezogen und zusammen mit der oberen Hälfte, der mit dem Kopf und dem Schwanz, an die Tür gelehnt. Als sie wieder zurückkamen, war leider alles weg.«
Honey stellte die Ohren auf. Gleichzeitig hielt sie den Blick starr auf die Menschenmenge vor der Kirche gerichtet. Was sie da sah, ließ sie vermuten, dass friedliche Weihnachten im Green River Hotel dieses Jahr wohl nicht auf dem Plan stehen würden.
Der Polizist, der mit gezückten Handschellen ins Theater gestürmt war, kam nun wieder auf sie zugerannt. Er war nicht allein. Er hielt ihre Mutter am Oberarm fest, und die ließ sich nicht ohne Gegenwehr abführen.
»Das ist ein polizeilicher Übergriff! Sie verletzen meine Menschenrechte, und ich werde Sie verklagen! Das kostet Sie Millionen!«
Er hatte Cinderella offensichtlich erwischt, ehe es Mitternacht schlug, denn Gloria Cross trug noch die Schuhe, die hier als Glaspantoffeln durchgehen sollten (ein sehr elegantes, glitzerndes Paar Manolo-Blahnik-Schuhe) und ein üppiges Tüllgewand, das allerdings ein wenig so aussah, als hätte Norman Hartnell 11 es in den fünfziger Jahren für die Queen entworfen.
Honey stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus und rief voller Entrüstung. »Meine Mutter hat dieses Pferd nicht gestohlen!«
»Sie hat recht«, schrie Gloria Cross. »Ich war’s nicht!«
Das beeindruckte den Polizisten nicht. »Das können Sie alles bei der Vernehmung sagen.«
Manche Polizisten hatten keinen sonderlich freundlichen Umgangston, aber sie machten ja auch einen schweren Job. Honey nahm es ihnen nicht übel, dass sie hin und wieder nicht so gut drauf waren. Manchmal hätte sie ihre Mutter wirklich gern mit einem Betonblock an den Füßen im Fluss versenkt, aber heute war nicht so ein Tag. Ihre Mutter hatte das Pferd schließlich in ihrem Hotel gefunden. Sie trat einen Schritt auf den wütenden Polizisten zu.
»Auf keinen Fall lasse ich zu, dass Sie meine Mutter verhaften! Ihr gesunder Menschenverstand sollte Ihnen sagen, dass sie das Pferd gar nicht gestohlen haben kann. Es ist schwer. Das wissen Sie. Sehen Sie sich diese Dame einmal an. Sie ist alt, viel zu schwach, um zwei Tüten mit Essen vom chinesischen Imbiss nach Hause zu tragen, von einem so schweren Ding ganz zu schweigen.«
»Ich verwahre mich entschieden gegen diesen Kommentar!«
Typisch, dass Ihre Mutter das nicht einfach so hinnahm. Bemerkungen über ihr vorgerücktes Alter schätzte sie nun mal gar nicht.
Der Polizist verdrehte die Augen gen Himmel. »Das fehlt mir gerade noch! Eine exzentrische alte Dame, die Requisiten aus dem Weihnachtsspiel klaut.«
»Wie können Sie es wagen!«
Sein Gesicht war schmerzverzerrt, weil gerade ein spitzer Top-Designer-Schuh Kontakt mit seinem Schienbein hatte.
»Jetzt reicht’s! Ich verhafte Sie …«
Leider machte er eine ungeschickte Bewegung, als er ein wenig zu rasch nach den Handschellen an seinem Gürtel griff. Sein Rücken spielte nicht mit.
»Hei-li-ger Him-mel …«, stöhnte er. »Also, Lady. Im Augenblick geht es mir gerade nicht sonderlich gut, und ich habe wirklich keine Geduld mehr für Jammergeschichten von wackeligen alten Damen.«
»Wackelig! Jetzt hören Sie mal zu, junger Mann! Ich kann in diesen Schuhen gehen. Sie bestimmt nicht!«
Alle Blicke wanderten zu den hochhackigen Glitzerschuhen. Honey schüttelte den Kopf. »Das müssen Sie meiner Mutter lassen«, sagte sie zu dem Polizisten. »Sie kommt mit diesen Schuhen zurecht. Jede andere würde auf diesen Absätzen nur herumwackeln. Ich auch. Aber dass sie in diesen Schuhen ein Pferdekostüm stiehlt? Auf keinen Fall!«
Der Polizist, der ihrer Mutter gerade die Handschellen anlegen wollte, war sich seiner Sache auf einmal nicht mehr so sicher.
»Ich denke, es würde nicht gut aussehen, wenn die Polizei um diese Jahreszeit jemand aus einem Weihnachtsspiel verhaftet«, meinte Honey.
Sie schaute zu Doherty, ob der sich vielleicht einmischen würde, aber er hielt sich raus. Er war einen Schritt zurückgetreten,lehnte mit dem Ellbogen auf dem Autodach und musste sich wahrscheinlich mit aller Kraft darauf konzentrieren, nicht laut loszulachen.
Humpty, der Polizist mit dem großen Taschentuch,
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