Mord zur besten Sendezeit
waren?«
»He, Baby«, sagte er und schaute sich nervös um. »Ich habe Ihnen doch gerade erklärt …«
»Ach, kommen Sie schon. Waren Sie in einem Pub, und der Mann hinterm Tresen erinnert sich vielleicht an Sie?«
Die Venen in seinen Oberarmen pulsierten. Sein Blutdruck musste sie bald zum Bersten bringen. Victor kaute noch ein bisschen auf den Lippen herum und schaute zu Boden. Dann murmelte er etwas.
Zunächst bekam Honey nicht ganz mit, was er gesagt hatte, weil er so leise gesprochen hatte. Sie bat ihn, die Antwort zu wiederholen.
»Ich war in der Oper. Madame Butterfly . Der Typ hinter dem Büfett würde sich an mich erinnern. Ich war so ausgetrocknet, dass ich mir bei ihm zwei große Gläser Leitungswasser geholt habe.«
»Und Ihre Freundin? Was hat die getrunken?«
Er schluckte, und seine Lider flatterten. »Die hat nichts getrunken. Die war auf der Bühne. Sie ist Sängerin.«
Also gut, nun musste Honey zwinkern. Der große schwarze Typ mit dem Wahnsinnsbizeps hatte ein Verhältnis mit einer Opernsängerin! Nicht nur das, er versicherte Honey auch, dass er die ganze Oper durchgehalten hatte, von Anfang bis Ende. Und er hatte dabei tatsächlich Tränen in den Augen!
»Dieser Pinkerton war ein Schweinehund. Der hätte zu Butterfly zurückkommen müssen. Das Mädel hat mir wirklich leidgetan.«
Honey machte sich eine Notiz, beim Mann hinter dem Opernbüfett nachzufragen, konnte sich aber die Antwort schon denken. Ein Typ wie Victor musste da schon bis zum Ende gesessen und zugesehen haben, um die Geschichte auch nur andeutungsweise erzählen zu können. Außerdem hatte die Welsh National Opera das Stück nur an einem Abend in Bath gegeben. Im Tag konnte er sich also nicht geirrt haben. Trotzdem würde es nicht schaden, sich irgendwann einmal mit der Sängerin in Verbindung zu setzen, nur um sicher zu sein. So leid es Honey auch tat, sie musste Victor Bromwell, jedenfalls im Augenblick, von ihrer Liste der Verdächtigen streichen.
Als sie das Studio verließ, schaute sie sich in den großen blitzblanken Fensterscheiben ihr Spiegelbild an. Gar nicht schlecht, überlegte sie. Marineblau steht dir. Lindsey hatte den Jogginganzug mit Rückgaberecht eingekauft. Er passte Lindsey nicht, und sie hatte ihn schon zurückbringen wollen. Honey war hinund hergerissen, ob sie ihn nicht für sich kaufen sollte.
Die Wahrheit war offensichtlich. Sie nickte ihrem Spiegelbild zu. Mit dem Ding siehst du schlanker aus, und, Mädel, gib’s zu, ein paar Pfund weniger im Geldbeutel, wenn du dir das Teil zulegst, das ist allemal besser als viele Stunden auf dem Laufband, um die Pfunde von den Hüften runterzukriegen!
Fünfzehn
»Warum haben Sie mich hierhergeschafft?«
Keine Antwort. Sean Fox hatte Angst. Das Auto, in dem sie gekommen waren, konnte er nicht mehr sehen. Es war dunkel, stockdunkel. Kein Licht weit und breit. Er begann zu rennen. Er wusste nicht, wohin. Es war auch egal, solange er nur einige Entfernung zwischen sich und den Mann brachte, der ihn hierhergeschafft hatte.
Der Pfad unter seinen nackten Füßen war weich. Ringsum waren der Geruch und die Geräusche des Waldes. Der Geruch nach Bärlauch und Fichten und der schwere Duft feuchten Torfs strömten auf ihn ein. Irgendwo schrie ein Tier in Todesangst, vielleicht ein Kaninchen, das der Fuchs erwischt hatte.
Während er rannte, verfluchte Sean sein unvorsichtiges Verhalten. Wie schon unzählige Male zuvor war er in ein Auto eingestiegen. Meist waren die Männer Fremde, die am Tag so normal wie nur was waren; doch sobald sie ihr Zuhause und ihre Familie und den Alltag hinter sich gelassen hatten, änderte sich das. Heute war ihm der Fahrer des Autos bekannt vorgekommen. Der Mann hatte ihn angesprochen: »Hallo. Lange nicht gesehen.«
Sie hatten sich unterhalten wie alte Freunde, obwohl keiner sich die Mühe machte, herauszufinden, wo sie einander schon einmal begegnet waren. Die Fahrt hierher in den Wald war in freundlicher Anonymität verlaufen. Als sie von der schmalen Straße abgebogen und auf den Waldweg gefahren waren, hatte sich das alles schlagartig geändert. Das nette Gesicht des Mannes war bedrohlich geworden. Nun sprach er nicht mehr freundlich, sondern in eisigem, hasserfülltem Ton.
Der Fahrer hatte Sean ein Messer an die Kehle gehalten und ihm befohlen, aus dem Auto auszusteigen, die Schuhe, die Jackeund den warmen Pullover auszuziehen. Und jetzt rannte Sean um sein Leben.
Der Boden war nun nicht mehr weich, sondern steinig, und er
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