Mord zur besten Sendezeit
England von einem ganz engmaschigen Netz von Kraftlinien überzogen sind? Besonders Wales. Es ist ein sehr spirituelles Land.«
»Ich habe immer gedacht, dass Wales das Land der Lieder und Männerchöre ist«, meinte Honey. »Oh, und der Kohlebergwerke. Früher hat es dort jede Menge Kohlengruben gegeben.«
»Das mag ja sein, aber am wichtigsten ist doch, dass das Land voller Geister ist.«
Honey hatte sich mit einem Notizbuch, einem Stift und einer Mappe voller leerer Seiten ausgerüstet, so dass sie wie eine potenziell weltberühmte Drehbuchautorin aussah.
Der Tag hatte mit schönem Wetter begonnen. Doch nun war der Himmel bewölkt, und es fing genau in dem Augenblick an zu regnen, als sie auf die A 466 fuhren. Man sagte ja, dass es in Wales immer regnet, aber Honey war sich sicher, dass das Glück ihr hold sein und die Sonne schon bald wieder scheinen würde.
Als sie in das Tal des Wye einbogen, hörte der Regen tatsächlichauf, und ein kleines Stückchen blauer Himmel begleitete sie auf ihrem Weg.
»Wir sind eben Glückspilze«, meinte Mary Jane, und Honey fragte sich, ob die alte Dame Gedanken lesen konnte.
Tintern Abbey, die dank Heinrich VIII . schon seit Jahrhunderten eine Ruine war, ragte rechter Hand hoch und eindrucksvoll über ihnen auf.
Die Wegbeschreibung zum Cottage, die man ihr gegeben hatte, brachte sie ans entfernt gelegene Ende des Dorfes, dann nach links und auf eine Straße, die schließlich in den Wald führte.
Die Straße war schmal und bot gerade einmal genug Platz für Mary Janes Auto. Die Amerikanerin hatte sich den rosa Cadillac per Schiff aus Kalifornien schicken lassen. Wie Mary Jane war das Auto inzwischen in die Jahre gekommen, aber immer noch sehr schick, wenn es auch ein bisschen viel Benzin verbrauchte. Nach einigem Hin und Her hatte Mary Jane den Straßenkreuzer so geparkt, dass andere Autos noch auf der Straße vorbeifahren konnten.
Honey bat Mary Jane, im Auto sitzen zu bleiben.
»Klar. Ich werde mit den Waldgeistern kommunizieren. Das sollte interessant werden.«
Mary Jane schloss die Augen und brummte »Om«. Das schien eine notwendige Voraussetzung für jegliche Unterhaltung mit Geistern zu sein.
Das Cottage sah recht nett aus. Es war ziemlich klein und aus mattgrauem Stein. Aus Blumenkästen quollen bunte Sommerblumen hervor, und auf der anderen Straßenseite rauschte das Laub einer Rosskastanie.
Honey war noch nicht ganz aus dem Auto ausgestiegen, als ihr Telefon klingelte.
»Wo sind Sie?«
Keine Begrüßung. Kein »Wie geht es Ihnen?«. Casper bildete sich etwas darauf ein, eine einzigartige, unverwechselbare Stimme zu haben – mit einem leisen Anklang an Noël Coward,den er sich zum Vorbild erkoren hatte, bis hin zur Zigarettenspitze aus Ebenholz. Die Zigarette blieb jedoch kalt. Casper war Nichtraucher.
»Ich bin in Wales.«
»In Wales? Mein liebes Mädchen, haben Sie da Verwandtschaft?«
»Ich bin hier im Zusammenhang mit dem Fall Arabella Rolfe – Künstlername Neville. Das ist die Frau, deren Leiche ich in einem Kamin entdeckt habe. Sie war früher Moderatorin beim Fernsehen.«
»Das weiß ich doch. Dazu noch Möchtegern-Sängerin. Ihr größter Fehler war, dass sie sich wie eine Diva benahm, ehe sie überhaupt eine war. Und singen konnte sie überhaupt nicht. Aber warum Wales?«
Honey erklärte, dass Arabellas Agentin ein Cottage in Tintern hatte.
»Dann muss ich nicht nach London fahren, um sie zu befragen. Ich bin natürlich inkognito hier. Arabellas Ehemann ist der Hauptverdächtige. Er hat seine Situation nicht gerade dadurch verbessert, dass er abgehauen ist. Ich dachte, die Agentin weiß vielleicht, wo er sich aufhält.«
Vorsichtshalber erwähnte sie nicht, dass John Rees einer von Adams Freunden war und dass sie den leisen Verdacht hegte, John könnte irgendwie in die Sache verwickelt sein.
»Ich frage Sie noch einmal, meine Liebe, was machen Sie in Wales? Warum wollen Sie zu dieser Agentin?«
Honey räusperte sich. »Hm. Ich dachte, die Frau könnte vielleicht ein wenig Licht auf Arabellas Charakter werfen. Sie hat immer so zuckersüß getan, war sonst aber sehr reserviert. Ich wollte herausfinden, ob ihre Persönlichkeit diesem Image entsprach.«
»Sie haben sie kennengelernt?«
»Ja. Im Römischen Bad, bei der Party der Maklervereinigung. Sie müssen sie dort doch auch gesehen haben – ganz in Rosa und Weiß und mit einem mädchenhaften Haarband.«
»Ah ja, ich erinnere mich an diese Person. Eine als Schulmädchen
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