Mord zur besten Sendezeit
Familie solche Kopftücher mit Jagdszenen, und dunkle Eulenbrillen waren eher ein Markenzeichen der verstorbenen Jacqueline Kennedy Onassis gewesen. Normalerweise sah Honey so nicht aus.
Bestens verkleidet flitzte sie nun die George Street entlang, bog dann in die Milsom Street und schließlich nach links in die schmale Gasse ein, in der John Rees’ Buchladen lag.
Zuerst tauchten die beiden letzten Kunden des Tages auf, der eine mit einem großen Buch unter dem Arm, der andere mit einem ebenso großen, in braunem Papier eingeschlagenen Paket. John verpackte seinen Kunden die Einkäufe stets in dunkelgrünen Tragetaschen mit dem Zeichen des Ladens – J R Books – in Gold. Honey vermutete, dass sich in dem Packpapier wahrscheinlich eine Landkarte befand, vielleicht auch zwei.
Vorsichtshalber wandte Honey dem Laden den Rücken zu. Sie schaute in ein schönes, bestens poliertes Schaufenster, das ihr ein ideales Spiegelbild der anderen Straßenseite bot. So machten verdeckte Ermittler das immer. Das hatte sie im Fernsehen gesehen. Dazu musste sie sich auf die Spiegelung konzentrieren, die die Tür des Buchladens zeigte. Das fiel ihr allerdings schwer, denn sie konnte die im Schaufenster ausgestellten Köstlichkeiten kaum ignorieren: Pralinen, Rumtrüffel, Toffees und Rosinenkaramell und so weiter und so weiter, lauter süße Versuchungen, die ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen ließen. Der süßlich-sahnige Duft strömte ihr in die Nase, und ihr Magen knurrte laut und vernehmlich. Hinterhältige verdeckte Ermittlung war gar nicht so einfach.
Endlich kam John aus dem Laden, schloss hinter sich ab und ging in Richtung Stall Street.
Honey war sich sicher, dass sie alles wusste, was es über verdeckte Ermittlungen zu wissen gab. Wie schwierig konnte es denn sein, jemanden zu beschatten? Diese Typen im Fernsehen machten das doch ständig. Und Honey hatte gut aufgepasst und viel gelernt. Mehr war nicht nötig.
Zunächst zählte sie bis zehn, dann holte sie tief Luft und nahm die Verfolgung auf. Das Wichtigste, was sie von den Fernsehpolizisten gelernt hatte, war, dass man schnell zu Fuß sein musste. Und dann musste man sich natürlich schnell in einen Ladeneingang drücken oder so tun, als läse man Zeitung oder studiere an der Haltestelle den Busfahrplan. Falls John sich einmal umschaute, musste sie reagieren – und zwar pronto!
Sie überlegte, was John wohl durch den Kopf gehen würde, sollte er sie sehen. Würde er sie sofort erkennen? Ein erneuter Blick in ein Schaufenster versicherte ihr, dass das nicht sehr wahrscheinlich war. Sie war irgendeine Frau mit Kopftuch, wenn er sie überhaupt wahrnahm. Frauen mit Kopftuch sind irgendwie unsichtbar, entschied sie und schwor sich, selbst freiwillig niemals eins zu tragen. Frauen mit Kopftuch sahen irgendwie ältlich aus. Unattraktiv.
Es gingen ihr noch alle möglichen anderen Gründe durch den Kopf, warum er sie in dieser Verkleidung nicht erkennen würde. Sie hoffte nur, dass sie recht hatte.
Natürlich hatte sie Gewissensbisse. Sie mochte John Rees wirklich, auch wenn er sich verdächtig benahm. Er war der Typ Mann, den sich eine Frau sehr gut als ihren engsten Vertrauten vorstellen konnte. Und gewiss hatte er auch durchaus das Potenzial zum Liebhaber, das stand ihm auf die Stirn geschrieben. Wenn sie ganz ehrlich war, musste sie zugeben, dass sie sehr wohl in Versuchung kommen würde, sollte sich eine passende Gelegenheit ergeben. Doch wenn John je herausfand, dass sie ihn heimlich verfolgte, dann wäre jegliches Flirren, das je zwischenihnen in der Luft gelegen hatte, natürlich völlig dahin. Honey würde nie wieder in seinen wildesten Phantasien vorkommen – nicht dass sie sicher wusste, dass sie jetzt drin vorkam, aber, Hölle und Teufel, schließlich kam John manchmal in ihren vor.
Das ist alles völlig in Ordnung, versuchte sie sich einzureden. Schließlich hast du gespürt, dass John dir etwas verheimlicht. Jede Wette, dass es was mit Adam Rolfe zu tun hat. John verheimlicht dir was. Er hat dich vielleicht sogar angelogen.
Den Gedanken, dass sie mindestens genauso hinterhältig und unaufrichtig war, verdrängte sie lieber. Sie war Honey Driver, Verbindungsfrau zur Kripo und erfahrene Spionin. Oder nannte man das Ermittlerin? Egal. Sie konnte sein, was sie wollte. Honey Driver, Privatdetektivin.
John ging mit sicheren Schritten die Gasse entlang und mischte sich unter die Menge der Einkaufenden, der Touristen und der Leute, die auf dem Nachhauseweg
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