Mord zur besten Sendezeit
gelegentlich auch von schwarzen Kühen gepunktet. Ein roter Schuppen stand oben auf dem nächstgelegenen Berg; ein langer Pfad schlängelte sich von dort zur Straße. Es sah aus, als wäre ein Eiskaffee ausgeschüttet worden. Vor mir im Abgrund sah ich nichts als Büsche, Felsen und gelb blühendes Unkraut.
Der große Redner sagte: »Hier hat Sabrina Delorean meinen besten Freund umgebracht.«
Meine Nasenflügel weiteten sich vor Erwartung. »Meinst du, es sei Mord gewesen?« fragte ich.
»Ich sagte >umgebracht<, aber es war wohl eher ein Mord.« Ich wartete, daß er die ganze Geschichte erzählen würde. Er ließ sich Zeit, blickte in den Abgrund, trat den einen oder anderen Stein hinab. Er spuckte über den Rand. Warf einen Kieselstein hinab. Ich schaute auf meine Uhr. Ich hatte noch fünfundvierzig
Minuten, um ihn auszuquetschen und die zwanzig Minuten in die Stadt zurückzufahren.
»Worauf wartest du eigentlich?« fragte ich. »Daß die Kühe von da unten raufgeklettert kommen, damit wir sie nach Hause treiben?«
Endlich fing er in seinem entnervend langsamen Upper-Valley-Dialekt an. »Ich kannte Thomas, ehe ich überhaupt gelernt hatte, wie man Ski läuft. Und das Skifahren bringt man uns bei, ehe wir laufen lernen, hi-a oben. Thomas und Sabrina haben zusammen an einer Story für die Abendschau gearbeitet. Sie waren mit dem Übertragungswagen unterwegs. Nach über drei Stunden rief sie uns vom Funktelefon aus an. Sie sagte, ein Wolf hätte Thomas über die Klippe in den Abgrund gejagt, als er eine Aufnahme von der Landschaft hier machte. Sie war sich nicht sicher, ob er noch lebte. Wir sind natürlich so schnell wir konnten hergerast. Die Erde war fest — es war ungefähr diese Jahreszeit — , also kamen wir zügig voran. Als wir ankamen, fanden wir sie beide am Boden des Abgrundes vor. Ich fand es merkwürdig, daß seine Kamera nicht auch mit hinuntergefallen war. Sabrina hatte sich von dem Ü-Wagen aus an einem Elektrizitätskabel abgeseilt und versuchte, Thomas wiederzubeleben. Der Helikopter brachte ihn ins Mary Hitchcock Hospital — wo man herausfand, daß die Wirbelsäule gebrochen war. Ich war mir nicht darüber im klaren, was das bedeutete. Das verstand keiner von uns. Seine Mutter war fast hysterisch. Sie hatte gerade im Jahr vorher ihren Mann begraben. Sie wollte ihren Sohn über alle Maßen beschützen, und aus diesem Grunde hatte Thomas immer sein Verhältnis mit Sabrina geheimgehalten. Sein Vater hatte in einem Nachrichtensender in New Hampshire gearbeitet. In der Familie gibt es regelrecht journalistisches Blut. Thomas war ein paar Monate im Krankenhaus, bis endlich das Gefühl in seinen Beinen zurückkehrte. Er hat sich mit der Krankengymnastik unheimlich angestrengt. Und die Dinge sahen wirklich gut aus, bis letztes Jahr, als er einen Rückfall erlitt. Er ist hingefallen und konnte nicht mehr aufstehen. Seitdem hat er den Rollstuhl nicht mehr verlassen. Es schien ihm trotzdem ungefähr sechs Wochen lang ganz ordentlich zu gehen. Dann hat er hinter dem Farmhaus seine Hunde erschossen und sich selbst mit einer Leine am Zaun vom Hundeplatz erhängt. Das Haar von seiner hübschen Mama ist durch den Schock ganz weiß geworden.«
»Und Sabrina hat noch nicht mal eine Karte geschrieben«, sagte ich.
Warren der Nachrichtenmann kickte einen Stein über die Kante. Es dauerte lange, ehe wir ihn unten aufkommen hörten. Er sagte: »Sie hat ihn von der Klippe gestoßen.«
»Das müßtest du beweisen«, sagte ich.
»Der Rückfall hat Thomas einfach kaputt gemacht. Der Wille, wieder gehen zu können, war der Grund, warum er überhaupt morgens aufwachte. Er dachte, er könnte Sabrina vielleicht zurückerobern, wenn er wieder auf den Beinen war. Ich wußte, daß sie in New York irgendein großes Tier geworden war, aber Thomas’ Mutter hat ihn isoliert, und hi-a oben ist es verdammt einfach, isoliert zu werden.« Er nahm einen tiefen Atemzug. »Kurz bevor er starb, erzählte er mir, was mit Sabrina passiert war. Sie war ja auch ziemlich behütet von ihrer Mutter, Patricia, die dauernd mit im Sender war und Sabrina immer beobachtete, als hätte sie Angst, daß irgendjemand Sabrina etwas an tun könnte. Die Wahrheit war, daß sich sowieso niemand an sie herangetraut hat. Sie hat die arme Mrs. Ellery in Angst und Schrecken versetzt. Niemand außer Thomas, äh-ja.«
Er trat etwas Erde hinunter. »Sabrina und Thomas sind hi-a hochgefahren, um eine Panoramaaufnahme vom Appalachian Trail zu machen.«
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