Mord zur Geisterstunde
Decke.
Schließlich sagte er: »Also gut, du hast ein Gespenst gesehen.«
Sie hörte die Belustigung aus seiner Stimme heraus.
»Du warst vorher noch im Garrick’s Head gewesen, nicht?«
»Ich habe aber nur einen …« Sie unterbrach sich, nachdem sie an seiner Miene genau abgelesen hatte, wie diese Frage gemeint war. »Einen! Nur einen. Und der Mann trug einen schwarzen Umhang – so eine Art altmodischen Abendumhang. Deswegen habe ich seinen Körper nicht sehen können.«
Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen und blitzte in seinen Augen auf. Er schüttelte den Kopf. »Du brauchst mal eine Pause. Wir brauchen beide eine Pause.« Der ernste Gesichtsausdruck kam zurück. Er schaute sie an, blickte auf die halb aufgeschriebene Zeugenaussage und dann wieder zu ihr. »Du hast also |84| jemanden gesehen, aber nicht deutlich genug, um Einzelheiten zu erkennen. Passt das?«
»Ja.« Damit konnte sie leben. Aberglaube beruhte immer auf lebhafter Einbildungskraft. Verlassene Straßen und dunkle Nächte regten die Phantasie an. Im kalten Licht des Tages ließ sich alles so leicht erklären.
Sie holte tief Luft. »Was kommt jetzt?«
»Ich habe vor, alle Leute zu befragen, die Lady Templeton-Jones an diesem Abend noch lebend gesehen haben. Ich möchte dich bitten, dich dazuzusetzen, nicht nur wegen deines Jobs beim Hotelfachverband, sondern weil du vielleicht die Aussagen bestätigen kannst – dich daran erinnern kannst, wo die einzelnen Personen waren, als die Frau verschwunden ist.«
»Da fällt mir was sein. Ich sollte Casper vielleicht gleich sagen, was passiert ist.«
Im Hintergrund schlug eine bunt gemischte Sammlung von Uhren die volle Stunde, als Casper ans Telefon ging.
»Was ist? Was ist passiert? Haben Sie schon Fortschritte gemacht?«
»Nichts Konkretes. Ich arbeite eng mit Detective Inspector Doherty zusammen.«
»O ja, mit dem. Ich habe größtes Vertrauen zu Ihnen, Honey. Ich bin sicher, dass Sie die Angelegenheit in kürzester Zeit aufklären. Schließlich haben Sie die Frau persönlich kennengelernt. Sie muss doch etwas zu Ihnen gesagt haben, das von Nutzen sein kann.«
»Außer ihrem Namen weiß ich von Lady Templeton-Jones nur, dass sie aus ihrem Hotel auschecken und ins Green River umziehen wollte. Ich nehme an, das Hotel, in dem sie gewohnt hat, hat einiges zu wünschen übrig gelassen.«
Eisiges Schweigen. Honey hatte das Gefühl, als hätte sie einen blanken Nerv getroffen.
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|85| 16
Casper St. John Gervais wurde kreidebleich. Er hielt den Hörer ein wenig vom Ohr entfernt, während er einen Blick mit Neville, seinem Hotelmanager, wechselte.
»Neville. Das fragliche Zimmer. Lady Templeton-Jones. War das der Name?« Er sprach sehr langsam und sehr präzise. Seine Stimme klang, als würde ihm jedes Wort im Hals brennen.
Neville nickte. »Ja, so hieß sie. Das Bett ist unbenutzt.«
Casper schloss die Augen und holte tief Luft. Er hatte die Hand über die Sprechmuschel gelegt. »Die Dame hat sich entschlossen, von uns ins Green River zu wechseln. Wie konnte sie nur?«
Er riss sich nur mit Mühe zusammen und nahm sein Gespräch mit Honey wieder auf. »Ich kann einfach nicht glauben, dass Lady Templeton-Jones nicht mit ihrem Hotel zufrieden war. Nun ja, über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten. Oder über Mangel an Geschmack.«
Jetzt war Honey an der Reihe, blass zu werden. Der beleidigte Tonfall hatte Casper verraten. Jetzt wusste sie, in welchem Hotel die tote Frau abgestiegen war. Im La Reine Rouge!
Casper legte den Hörer auf, ehe Honey Zeit für eine Entschuldigung fand.
Honey stöhnte und verzog schmerzlich das Gesicht, als sie sich wieder Steve zuwandte. »Uups.«
»Was meinst du mit uups?«
»Sie hat in Caspers Hotel gewohnt.«
»Uups!«
Honey schaute ihn grimmig an. »Das ist überhaupt nicht komisch. Casper kann mit Kritik gar nicht gut umgehen. Mir graust jetzt schon vor unserer nächsten Begegnung. Der wird vielleicht eingeschnappt sein!«
|86| Steve grinste und zuckte die Achseln. »Das ist doch nichts Neues.« Seine Miene wurde härter, als er auf der Wache anrief und ein Team ins La Reine Rouge bestellte.
Honeys Gedanken wanderten unruhig hin und her – von den Indizien in diesem Mordfall zu der Vorstellung, was Casper wohl bei ihrer nächsten Begegnung sagen würde.
Beides war gleichermaßen schwierig. Plötzlich waren all die Vorsätze und die gute Arbeit der vergangenen Wochen völlig in den Hintergrund gedrängt. Wie automatisch
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