Mord zur Geisterstunde
bewegten sich Honeys Finger zum letzten übriggebliebenen Croissant.
Casper – oder vielmehr sein Hotel – war Teil einer Morduntersuchung, also machte sie sich zunächst einmal seinetwegen Sorgen. »Ich gehe ihm wohl am besten ein paar Tage aus dem Weg …« Sie kaute. »Und gebe ihm Gelegenheit, sich ein bisschen zu beruhigen …« Sie mampfte weiter. »Und danach erkläre ich … Ich nehme an, es ist dort dann wieder so sauber und ordentlich wie immer … Er wird …«
Steve Doherty war aufgesprungen. »Ruf bitte noch mal bei ihm an.«
Krümel stoben Honey aus dem Mund, als sie entsetzt protestierte: »Nein! Das kann ich nicht!«
Steve drückte auf die Wahlwiederholung. Casper antwortete.
»Fassen Sie bitte in dem Zimmer nichts an! Vermieten Sie es nicht, und lassen Sie es nicht reinigen, ehe wir es uns gründlich angesehen haben«, bat Steve Casper.
Honey fegte sich die Krümel vom Busen. »Wir?«
»Nach den Befragungen sehen wir uns einmal das Zimmer an. Die Frau hatte zwei verschiedene Identitäten. Vielleicht hatte sie auch zwei verschiedene Leben.«
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Sogar Honey, die sonst nicht so auf Sicherheit bedacht war, wusste, dass es riskant war, das Handy mit in die Badewanne zu nehmen. Honey wollte ohnehin lieber duschen. Sie kam einfach nicht mit dem Verbrechen klar, mit dem sie es gerade zu tun hatte. Sie selbst war die letzte Person, die das Opfer lebend gesehen hatte – außer dem Mörder natürlich. Sobald ihr das heiße Wasser über die geschlossenen Augen und den Körper strömte, fiel ihr das Denken wieder leichter. Und es gab so viel zu bedenken. Lady Templeton-Jones war von einem Augenblick zum anderen verschwunden. Blitzschnell. Steve Doherty hatte versprochen, sie auf dem Laufenden zu halten. Das Warten auf Neuigkeiten war eine Qual.
Plötzlich erschallte in ihrem Handy der Halleluja-Chor aus Händels »Messias«.
Triefnass sprang Honey aus der Dusche, schnappte sich das Telefon und klappte es rasch auf. Der Wasserdampf hatte es ganz glitschig gemacht. Es schoss ihr aus der Hand und flog im hohen Bogen in Richtung Klobrille. Sie konnte es gerade noch abfangen, ehe es ins tiefe Wasser der Toilettenschüssel plumpste. Casper war am Apparat. Da wünschte sie sich, sie hätte das Ding untergehen lassen.
»Es gefällt mir gar nicht, dass wir in diese Angelegenheit verwickelt sind«, erklärte er kühl.
»Casper, Sie haben mich aus der Dusche geholt …«
»In meinem Hotel wimmelt es vor Polizisten.«
Sie wusste, dass das nicht stimmte. Die Polizei hielt sich im La Reine Rouge nur in einem Zimmer auf, und zwar in dem, das bis vor Kurzem die besagte Lady Templeton-Jones bewohnt hatte. Es überraschte niemanden, dass Casper alles andere als begeistert |88| von dieser Tatsache war. Verbrechen hatten gefälligst anderswo stattzufinden.
»Die Kripo ist doch nur in einem Zimmer, Casper, und sie sollte dort nicht mehr allzu lange zu tun haben.«
»Das will ich doch hoffen. Gleich erscheint die Presse. Ich bestehe darauf, dass ich mindestens eine Doppelseite bekomme.«
Dann war die Leitung tot. Trotz aller Widrigkeiten schaffte es Casper stets, aus einer Sache so viel wie möglich für sich herauszuholen. Publicity war immer gut.
Nun war Honey wenigstens sicher, dass St. John Gervais sie nicht in siedendem Öl braten würde. In ein flauschiges Badetuch gehüllt, spazierte sie ins Wohnzimmer. Jetzt stand weiteres Nachdenken auf der Tagesordnung, plus ein Morgenkaffee. Sie schenkte sich eine Tasse ein und setzte sich dann in ihren liebsten »Denksessel«.
Eine einzige Frage ging ihr immer wieder im Kopf herum. Warum hatte Ihre Ladyschaft sich entschlossen, aus Caspers Hotel auszuchecken und zu ihr zu kommen? Na gut, ihre Zimmerpreise waren niedriger, aber war das Grund genug? Und warum hatte die Lady die Entscheidung so rasch und zu so später Tagesstunde gefällt?
Honey genoss die Ruhe des alten Kutscherhäuschens, in dem sie mit ihrer Tochter wohnte. Ihr Zuhause war eine Oase, weit weg von allem. Diese Umgebung beruhigte sie stets.
Wo bei anderen Leuten Aquarelle an der Wand hingen, waren bei Honey antike Dessous zur Schau gestellt. Genau wie die Aquarelle waren sie sicher hinter entspiegeltem Glas verwahrt. Die Spitze war zart, der Satin glänzte. Aber sexy war das alles nicht. Antike Unterhosen hatten die gleiche Form wie Fußballershorts – sehr weit geschnitten, sodass sie jede Menge Spielraum boten.
Die alte Bahnhofsuhr, die an der Giebelwand hing, schlug acht.
Honey
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