Mord zur Geisterstunde
darüber dachte Honey gründlich nach. Sie hatte keine Schritte hinter sich gehört. Aber das hieß ja nicht, dass da keine waren. Der Regen prasselte so laut, und das Wasser rauschte durch die Rohre, das hätte leicht den Klang von Schritten übertönen können. Das erklärte sie Steve. Der stimmte ihr zu.
»Wenn er die Frau verfolgt hat, ist er unser Hauptverdächtiger. Aber wer war er? Und warum wurde die Lady umgebracht?«
Honey nickte. »Abendanzug. Er war zum Ausgehen angekleidet.«
Im hellen Licht des Tages trat an die Stelle der Phantasie wieder die kühle Logik. Dunkle Kleidung und Lackschuhe deuteten darauf hin, dass hier jemand auf dem Heimweg von einer Dinner-Party, von irgendeinem öffentlichen Empfang oder vom Theater war. Ja, so musste es gewesen sein.
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Als Erste wurden Mr. und Mrs. Hamilton George der Vierte befragt. Sie waren ein Paar in den besten Jahren, lächelten freundlich und trugen rote Hosen mit Schottenkaro und dicke Aran-Pullover. Ihre Turnschuhe waren so groß wie Kähne, und sie hatten beide Rucksäcke bei sich, die präzise auf ihre Hosen abgestimmt waren. Mr. George schmückten außerdem noch rote Ohrenschützer, die im Augenblick hinter die Ohren zurückgeschoben waren. Quer über den breiten Brustkasten verlief das Kabel seines iPods. Seine Gattin überragte ihn um einige Zentimeter. Über ihren Brustkasten verlief gar nichts. Neben ihrem Busen wäre dafür auch nicht viel Platz gewesen.
Steve hatte sich entschieden, die Paare erst einmal zusammen zu befragen. Falls ihm etwas verdächtig vorkam, konnte er sich die Leute später auf der Wache immer noch getrennt vorknöpfen.
Familie George kam aus San Diego. Das war auch der Grund, warum Mary Jane während des Spaziergangs auf einmal fortgeschwebt war. Sie wollte sich die letzten Neuigkeiten aus der Heimat berichten lassen. Mary Jane stammte nämlich aus dem nur wenig südlich dieser Stadt gelegenen La Jolla.
Sobald er Namen und Adresse aufgenommen hatte, erkundigte sich Steve nach den Berufen.
»Pensioniert«, erklärte Mr. George. »Ich mache hier Urlaub.«
»Mein Mann war ganz groß bei der IBM«, platzte seine Gattin heraus, die selbst – jedenfalls von der Figur her gesehen – auch ziemlich groß war. »Er hat einen sehr einflussreichen Posten bekleidet. Man hat dort sehr viel auf ihn gehalten.«
»Und ihn hervorragend bezahlt«, ergänzte ihr Gatte mit einem kleinen Seitenblick.
Mrs. George schien diesen Einwurf kaum zu bemerken. »Aber |99| er hat immer noch jede Menge zu tun. Außerdem reisen wir viel. Wir wollten immer schon reisen. Das machen wir jetzt. Wir waren bereits überall auf der Welt, nicht wahr, Hamilton?«
Ihr Mann öffnete den Mund, als wollte er antworten, aber dazu bekam er keine Gelegenheit. Mrs. George war gerade richtig in Fahrt gekommen.
»In Japan, auf Hawaii, in China, in Frankreich, in der Schweiz …« Sie fuhr fort, an den Fingern die Länder abzuzählen, die sie besucht hatten. Schon bald gingen ihr die Finger aus.
Außer Sichtweite des liebenden Ehepaares tippte Honey mit dem Finger auf Steves Oberschenkel. Blickkontakt war nicht möglich, also gab er das Signal zurück und bestätigte so, dass ihm die gleichen Gedanken durch den Kopf gingen. Mrs. George war die Sorte Frau, die einfach nicht mehr zu reden aufhörte, wenn sie einmal damit angefangen hatte.
»Es ist unglaublich, was er alles mit Computern anstellen kann. Naja, ich denke, er ist vielleicht einer der Besten, die es auf dem Gebiet je gegeben hat. Nicht dass ich das beurteilen könnte. Ich habe ja nie mit Computern zu tun gehabt. Ich weiß, wie man so ein Ding einschaltet, aber das ist es dann auch schon. George dagegen ist ein echtes Genie. Allerdings halte ich mich da raus, denn wer weiß, vielleicht drücke ich aus Versehen mal eine falsche Taste, und dann wäre seine ganze Arbeit …«
Honey musste die Frau einfach anstarren. Mrs. Georges Gesicht faszinierte sie. Der Mund war das Einzige, was sich darin bewegte.
Honey hörte jedoch nicht, was Mrs. George erzählte. Es war ein bisschen wie das Rauschen einer Toilettenspülung. Die verrichtete ihre Arbeit, ohne dass man sich sonderlich mit den Einzelheiten beschäftigen wollte. Mrs. Georges Wortschwall war ungefähr genauso interessant.
Als Erster stürzte sich Steve mutig in die Wortfluten. »Also, wann haben Sie Wanda Carpenter zuletzt gesehen – die Frau, die sich Lady Templeton-Jones nannte?«
Diesmal war der Ehemann schneller am Ball. »Ich
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