Mord zur Geisterstunde
erzählt, dass man Gespenster und Geister nur sieht, wenn man am wenigsten mit ihnen rechnet. Im Augenblick gingen ihr zu viele andere Dinge durch den Kopf. |95| »Hier hinein, bitte«, sagte der Polizist, der neben den Eingangsstufen stand. Stärker als der Geruch von Straßenverkehr, Staub und wer weiß was sonst noch waren die Essensdüfte, die aus den unzähligen Restaurants dieser Gegend durch die Straße wehten. Viele der Küchen waren im Souterrain von hochherrschaftlichen Häusern untergebracht.
Honey schnupperte. Ihr knurrte der Magen. Steak and Kidney Pie 1 ? Shepherd’s Pie 2 ? Jedenfalls roch es köstlich.
Der wachhabende Polizist stieß einen tiefen Seufzer aus. »Das ist mein Lieblingsgericht. Steak and Kidney.«
Honey schüttelte den Kopf. »Nein, Shepherd’s Pie.«
Er schaute beleidigt. »Ich kenne doch den Duft von Steak und Kidney. Darauf wette ich einen Fünfer mit Ihnen.«
»Okay.«
Der Mann zog einen Fünfpfundschein aus der Tasche. Honey schnappte ihn sich sofort. »Es ist wirklich Shepherd’s Pie«, sagte sie und deutete auf eine Tafel, die im Eingangsflur an der Wand lehnte und auf der mit Kreide der Speisezettel des Tages notiert war.
Der Polizist grummelte leise etwas vor sich hin.
Honey machte sich auf den Weg zum »Green Room« 3 , wie man diesen Raum des Gasthauses getauft hatte. Hier war früher der Treffpunkt der Schauspieler und der schwulen Szene gewesen. Im Restaurant standen die Tische ordentlich aufgereiht und mit Tischtüchern für das Mittagessen eingedeckt.
Zwei weitere Polizisten waren unmittelbar hinter der Tür postiert. Sie traten einen Schritt zur Seite, um Honey einzulassen.
Doherty saß an einem Tisch im hinteren Bereich des Raums. Man hatte die Tischdecke abgenommen, und anstatt des Bestecks lagen nun dort Notizblöcke, Zeugenaussagen und Kugelschreiber.
Der Detective Inspector schaute auf, als Honey eintrat. »Guten |96| Morgen.« Einen Moment lang blickte er ihr tief in die Augen. »Setz dich. Möchtest du einen Kaffee?«
»Nein, ich habe gerade einen getrunken.«
Sie setzte sich ihm gegenüber hin. Es überraschte sie, dass die Nervosität noch nicht von ihr gewichen war.
Steve merkte, dass sie sich unbehaglich fühlte. »Nein, komm hierher«, sagte er und tätschelte mit der Hand den Platz neben sich.
Sie ging um den Tisch herum und stellte ihre Tasche zwischen den Füßen ab.
»Willst du ganz bestimmt keinen Kaffee? Du kannst auch einen kleinen Kognak drin haben, um deine Nerven zu beruhigen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Da würde mich meine Mutter glatt enterben. Können wir anfangen? Aber du musst mich vorsichtig und nett behandeln. Heute fühle ich mich ein bisschen zerbrechlich.«
»Versprochen! Willst du noch irgendwas wissen, ehe wir loslegen?« Er lächelte. Kleine Fältchen strahlten von seinen Augenwinkeln aus.
»Du siehst aus, als hättest du es heute Morgen sehr eilig gehabt. Du trägst kein Make-up.«
Er hatte es vielleicht nicht beabsichtigt, aber das tat weh. Sie schlug zurück.
»Und bei dir hat wohl die Zeit heute nicht zum Rasieren gereicht. Du trägst den Tramp-Look.«
Er grinste, und unter seinen Fingerspitzen machten die Bartstoppeln ein kratzendes Geräusch.
»Das sind Designer-Stoppeln. Die sind in Hollywood total in. Fass mal hin.« Er reckte das Kinn vor.
»Nein, vielen Dank.«
Sie wandten sich der Arbeit zu. Honey stellte noch einmal die Ereignisse dar, bis zu dem Augenblick, als Lady Templeton-Jones – geborene Wanda Carpenter – verschwunden war.
»Und dann hast du noch jemanden gesehen?«
Sie wand sich vor Verlegenheit und nickte. »Ich war gerade dabei, |97| mir die Schuhe zuzubinden, als er vorbeiging. Er hat nicht zu unserer Gruppe gehört.«
»Das war der, den du für ein Gespenst gehalten hast.«
»So habe ich das nicht formuliert.«
»Na gut. Gehörte er vielleicht zu der anderen Gruppe, zu den Leuten, die du am unteren Ende der Gasse getroffen hast?«
Sie lachte kurz und trocken auf. »Machst du Witze? Das wäre wie eine Begegnung von Disco-Queen und Phantom der Oper.«
»Phantom?«
»Ich habe es dir doch schon gesagt. Der Mann war kein Phantom.«
»Wem willst du das jetzt weismachen? Mir oder dir?«
In Gedanken ging Honey noch einmal alle Einzelheiten durch. Es stimmte, sie hatte tatsächlich diesen düsteren Fremden zunächst für eine Art Phantom gehalten. Er war aus dem Nichts aufgetaucht – und auch wieder im Nichts verschwunden.
»Erinnerst du dich sonst noch an etwas?«
Auch
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