Mord zur Geisterstunde
sagt, er hätte eine Überraschung für dich. Er wartet draußen.«
|156| Honey kroch aus dem Schlund der Maschine, nicht ohne sich dabei noch den Kopf zu stoßen.
»Verdammte Kacke!«
Sie stand da, von Panik gepackt, und breitete hilflos die Arme aus.
»Und was mach ich jetzt?«
Lindsey war der Zauberer Merlin unter den Teenagern. Wie oft segnete Honey den Tag, an dem ihre einzige Tochter einen Platz an der Uni abgelehnt hatte.
Gewöhnlich waren Lindseys Ratschläge gut. »Deine Backen sind wirklich rot wie Tomaten! Das müssen wir übertönen.«
»Wie denn? Mit Weizenmehl?«
Lindsey knotete Smudger Smith das rote Tuch vom Hals, das er immer zur Kochuniform trug.
»Notfall«, verkündete sie, als sie seinen verdatterten Gesichtsausdruck bemerkte. »Es wird dir nicht leid tun.«
Smudger lächelte. Über Lindsey ärgerte er sich nie. Zwischen den beiden bestand eine freundschaftliche Zuneigung. Allerdings hätte Honey nie gewagt, das auch nur anzudeuten.
»Hier«, sagte Lindsey und schüttelte das weiß getupfte Tuch in seine ursprüngliche quadratische Form. »Trag es so.«
Sie drehte das Tuch zu einer Wurst, die in der Mitte etwas dicker war und die sie ihrer Mutter wie ein Haarband um den Kopf wand. Dann verknotete sie die Enden zu einer Schleife.
»Voilà! Erste Sahne!«
Honey beäugte sich in der polierten Chromtür des Kühlschranks. Das Rot des Tuchs überstrahlte ihre rosigen Wangen um Einiges. »Gar nicht schlecht.«
Cameron Wallace wartete draußen im Foyer zwischen dem Empfangsbereich und dem »Maschinensaal«, wie alle die Küche nannten. Er stand mit dem Rücken zu ihr und hatte die Hände in den Hosentaschen. Seine Haltung war selbstsicher, viel zu selbstsicher für Honeys Geschmack. Da kam ihr plötzlich ein Gedanke.
»Sag ihm, dass ich gleich komme«, flüsterte sie Lindsey zu und trat schnell in den großen Wandschrank genau gegenüber der |157| Küche. Hier wurden Papierservietten, Zahnstocher, Seife und Toilettenpapier gelagert. Honey nahm ihr Handy heraus und wählte Dohertys Nummer. Er hob sehr rasch ab. Wie immer.
»Ich bin’s«, wisperte sie.
»Bist du in einer Höhle? Deine Stimme klingt so dumpf.«
»Nein, ich bin in einem Wandschrank.«
»Hat dich jemand eingesperrt?«
»Nein, ich wollte nur ein vertrauliches Wort mit dir sprechen.«
»Ah ja, ich verstehe.«
Sein Tonfall verriet, dass er gar nichts verstand.
»Cameron Wallace ist hier und will mit mir reden. Ich wollte erst mit dir sprechen. Ich muss wissen, wie du vorangekommen bist, als du bei ihm warst.«
»Da gibt’s nichts Besonderes zu berichten, außer dass ihm alle Läden in dieser Häuserzeile gehören. Vier insgesamt. Drei sind vermietet. Einer – der, in dem das Opfer gefunden wurde – steht leer. Er wollte ihn verkaufen, hat es sich dann aber noch einmal überlegt. Es waren aber schon viele Gutachter und Bauleute dort, um für Kaufinteressenten das Anwesen zu prüfen.«
»Okay, das behalte ich mal im Hinterkopf.«
»Was hältst du davon, morgen ein ASS näher zu betrachten?«
Er betonte das Wort ASS. Honey begriff, was er meinte.
»Ich will’s versuchen. Ich ruf dich zurück.«
Cameron Wallace lächelte, als er sie sah. Vollkommene, weiße Zähne blitzten auf wie ein Leuchtturm in einer finsteren Nacht.
Sie überlegte, dass sie wahrscheinlich aussah wie Miss Mopp 1956. Er zuckte jedenfalls nicht mit der Wimper, als er sie erblickte.
Sie lächelte zurück. »Tut mir leid, aber in die Bar lassen sie mich so nicht rein.« Sie deutete auf ihre weiße Kochkleidung und die gestreifte Metzgerschürze.
»Dann vielleicht ein anderes Mal. Macht nichts. Ich bin gekommen, um Ihnen ein Angebot zu machen.« Er reichte ihr eine Mappe. »Das ist der Mietvertrag für einen Laden, der mir gehört und der für das Second Hand Rose passen würde. Ich bin sicher, Ihre Mutter und deren Freundinnen werden damit einverstanden |158| sein. Geben Sie mir nur Zeit, um alle rechtlichen Dinge zu erledigen. Und natürlich brauche ich eine Verabredung zum Abendessen.«
Honey hatte erwartet, dass er sie um eine Verabredung bitten würde. Mehr noch freute sie jedoch, dass er ihrer Mutter einen Laden anbot.
»Rufen Sie mich an, wenn Sie Zeit haben.« Er schlenderte davon.
Honey stand da und starrte vor sich hin. Blendende Nachrichten! Zuerst benachrichtigte sie ihre Mutter. Deren Reaktion war ziemlich ähnlich.
Dann telefonierte sie mit Casper, um ihm die letzten Neuigkeiten zum Mordfall zu berichten. Sie erklärte ihm,
Weitere Kostenlose Bücher