Mord
Ledersachen sowie einem Regal mit säuberlich aufgereihten Leitz-Ordnern. Fenster gab es nicht.
Der Mann fing an, sie auszufragen. Sie überlegte, ob Lügen ihr etwas brachte, und sagte die Wahrheit, 32 Jahre alt, ledig, Angestellte. Sollte sie sagen, dass sie einen Freund hatte, oder sollte sie lieber sagen, dass sie keinen hatte? Sie würde vermisst werden, natürlich, von vielen – aber das müsste dem Mann ja klar sein, dachte sie, das rührte ihn nicht. Er rannte die erste Zeit mit seiner Gummimaske auf und ab, irgendwann nahm er sie ab. Zum Vorschein kam ein verschwitzter, geröteter Kopf, abendlicher Bartschatten, dunkle glatte Haare, unauffällige Frisur, ja überhaupt ein ganz unauffälliges Straßenbahngesicht, an dem der Blick sonst sofort vorbeigleitet.
Jetzt aber glühte das Gesicht. Er nahm ihr die Handschellen ab, griff ins Regal und drückte ihr einen Ordner in die Hände, den sie aufklappen sollte; er hatte die saubere Aufschrift «Ordner zum Lernen für die Sklavin». In einer Schutzfolie fand sie zuoberst einen «Personalbogen», den sie herausnehmen und ausfüllen musste. Es gab weitere Texte, anscheinend von dem Mann selbst verfasst, aus denen hervorging, dass sie zur Sexsklavin ausgebildet werden sollte, illustriert mit entsprechenden Fotos. Der Mann sagte, er sei Mitglied einer Organisation, die junge Frauen zu Sexsklavinnen erzieht und an zahlungskräftige Kunden verkauft, das habe er gemeint mit «Lösegeld».
Es gab einen Ausbildungsvertrag, in dem auch viele Verhaltensregeln und Pflichten standen. Sie musste diesen Vertrag unterschreiben, sie tat es, was blieb ihr anderes übrig. Dann musste sie sich ausziehen für die «Eingangsuntersuchung». Er zerschnitt ihr Unterhemd, fragte sie nach Größe und Gewicht und begann sie auszumessen. Er trug alles sorgsam in eine Tabelle ein. Schließlich erhielt sie einen Jogginganzug, den sie anziehen durfte. Er brachte sie in einen etwas tieferen Teil des Kellers, in eine mit schwarzen Gittern abgeteilte Gefängniszelle, und legte ihr schwere Ketten an und ein Halseisen, das mit einer Kette an die Wand angeschlossen war. Handfesseln und Fußfesseln waren miteinander und dem Hals verbunden. So musste sie die erste Nacht dort unten schlafen. Er drohte, wenn sie nicht tat, was er befahl, werde sie das nicht überleben. Seinen Namen sagte er nicht, sie solle ihn stets mit «Meister» ansprechen.
Gerd Fuhrmann fand, dass ihm der Titel eines Meisters schon zukomme, obwohl er ein stiller, ein verkannter Meister war; nur seine Mutter ahnte wohl, was er alles konnte. Aber er wusste auch manches von seinen Eltern, was Kinder besser nicht wissen sollten. Sein Vater war als Techniker bei der Polizei gewesen, aber wegen Depressionen schon früh aus dem Dienst ausgeschieden, lange vor der Wende. Die Mutter war städtische Angestellte gewesen im Gesundheitsamt, seine Schwester war Musikpädagogin und wohnte mit ihrem Mann wenige Häuser weiter. Nachdem er den Keller ausgebaut hatte, hatte er Fotos gefunden, seine Eltern in SM -Sachen.
Damals, nach der Haft, war er wieder zu den Eltern gezogen. Der Keller war ursprünglich eine Garage unterm Haus gewesen. Die hatten sie zugemacht, weil keiner mehr das Auto da unten reinfahren wollte. Er und sein Vater hatten das Garagentor zugemauert, die Rampe zugeschüttet und dafür vom Haus aus eine Tür durchgebrochen. Der neu gewonnene Raum war beträchtlich und lag noch etwas tiefer als der Hauskeller. Gerd Fuhrmann hatte all das ausgebaut. Inzwischen gab es diese wunderbaren riesigen Baumärkte, wo man wirklich alles kriegen konnte, all das, was man früher mühsam eingetauscht hatte, und so viel mehr. Schon damals holte Fuhrmann schöne Sachen vom Baumarkt, von denen man in Ostzeiten nur träumen konnte, fertige Gitter, Balken, Zwischenwände; offiziell wurde das ein Gästezimmer. Schon damals aber reizten ihn die Hohlstangen aus glänzendem Metall, die Ketten und Haken, die er dann später nach dem Tod des Vaters einbaute.
Dann zog er aus und lebte mit seiner Freundin Edith zusammen. Als er nach dem Tod des Vaters wieder zur Mutter zurückkehrte, fand er beim Aufräumen Bilder, die zeigten, wie der Vater und die Mutter sich da unten im Keller sexuell betätigt haben. Er vernichtete die Bilder bis auf eines, auf dem man die Gesichter hinter den Masken nicht erkennen konnte. Er war überzeugt, dass die Mutter nur so mitgemacht hatte, die treibende Kraft musste der Vater gewesen war. Es musste schon begonnen
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