Mord
schreien, schon hielt ihr der Mann den Mund zu. Er hatte ein Messer aus seiner Tasche geholt, drohte ihr damit, hielt es mit einer Hand vor ihre Augen, sagte, dass sie den Mund halten solle. Dann fragte er: «Können wir?» Sie nickte, er richtete sich auf, zog sie hoch und zerrte sie von der Straße fort aufs finstere Feld.
Es war ganz still im Umkreis, dunkel, wenige Straßenlaternen sorgten für Lichtpilze, in denen schlierig die feuchte Luft stand, die mit dem Hund brannte nicht, und kein Mensch sonst weit und breit. Der Mann schnaufte etwas und schwieg. Sie fragte, was er denn von ihr wolle. Der Mann sagte: «Nicht, was du denkst.» Er zog an ihr, «Weiter!», er keuchte, sie sagte: «Sie wollen mich vergewaltigen!» Der Mann drehte den Kopf von ihr weg und sagte nein. Und wieder: «Nein, so eine primitive Vergewaltigung, das mach ich nicht.» Er sagte, dass er Geld wolle. Sie griff in ihre Manteltasche, wollte ihm ihr Portemonnaie geben. Der Mann wehrte ab: Nein, so nicht, er wolle Lösegeld für sie haben. Was für ein Wahnsinn, was für ein Unsinn, dachte Iris und versuchte sich loszureißen und wegzulaufen, doch der Mann war stark. Er war gerade mal mittelgroß und sah ganz unauffällig aus in seiner gesteppten Jacke. Wie sagte man? «Ohne besondere Kennzeichen.» Sie fand ihn ziemlich alt, so etwa 50 , schätzte sie, wenn nicht noch älter.
Aus einer Jackentasche zog er metallene Handschellen, fesselte damit ihre Hände auf dem Rücken und steckte ihr trotz aller Gegenwehr einen Knebel in den Mund; das war ein Lederband mit einem Ball, durch den Ball ging ein fingerdickes Loch. Er sagte, sie brauche keine Angst zu haben, da sei ein Loch drin, durch das sie atmen könne. Mit einem Schal verband er ihr die Augen.
Nachdem er sie gefesselt und geknebelt hatte, fasste er sie am Arm und ging mit ihr zur Straße zurück, zu dem Laternenmast, und band den Hund los. Dann machten sie kehrt und liefen zu dritt übers dunkle Feld. Sie verlor die Orientierung, sie hatte den Eindruck, dass er kreuz und quer läuft. Schließlich befahl er ihr, dass sie sich hinhocken solle; ein anderer Mann querte ihren Weg und fragte ihren Entführer, ob er helfen könne. Der sagte nein, alles okay, er habe hier einen scharfen Hund. Der andere Mann entfernte sich, und sie gingen weiter. Schließlich schloss der Mann eine Autotür auf, und sie musste sich mit angezogenen Beinen seitlich auf die Rückbank legen. Der Mann legte eine Decke über sie, ließ den Hund vor dem Beifahrersitz Platz nehmen und startete. Kurz nach dem Losfahren hörte sie den Mann mit jemand telefonieren, er sagte: «Ich hab sie.»
Sie fuhren und fuhren, eine ganze Weile, ihrem Empfinden nach etwa eine halbe Stunde. Iris Franke versuchte alles irgendwie zu registrieren, vielleicht könnte es einmal helfen. Dann hielt das Auto an, sie musste aussteigen, sehen konnte sie wegen des Schals vor ihren Augen weiterhin nichts. Ein metallenes Gartentor wurde geschlossen, sie hörte es am Klang, als die beiden Flügel zusammenstießen. Sie stand da wohl schon vor der Haustür; als sie sich etwas drehte, spürte sie hinterm Rücken mit den gefesselten Händen ein halbhohes Mäuerchen, das zum Eingang führte; mit den Fingerspitzen strich sie über die poröse Oberfläche und die Fugen der Ziegel. Der Mann schloss auf und zog sie ins Haus, dort gleich eine Treppe nach unten, dann noch eine weitere Treppe; er hatte sie unter den Arm gefasst, damit sie nicht stolperte. Dann waren die Treppen zu Ende, ein paar Schritte vorwärts, etwas Hölzernes wurde verschoben, etwas wurde aufgeschlossen, sie hörte das Quietschen einer Stahltüre, die bald darauf dumpf hinter ihr zuschlug.
Der Mann leitete sie zu einem Stuhl, sie sollte sich hinsetzen, warten. Sie hörte, dass er sich ein Stück weit entfernte, irgendetwas machte, so vergingen die Minuten. Dann kam der Mann wieder zu ihr, stand neben ihr, entfernte den Schal, sodass sie wieder sehen konnte – und erneut erschrecken. Der Mann hatte eine Gummimaske auf.
Er legte ihr ein Halseisen um, das zwei Ketten hatte, die an zwei senkrechten Stangen endeten. Er entfernte den Knebel aus ihrem Mund und legte ihn vorsichtig mit seinen dicken Fingern auf ein Beistelltischchen. Was sie sah, war ein sorgsam aufgeräumtes, gut ausgerüstetes Sadomaso-Studio, wie sie es nur einmal auf Fotos in einer Illustrierten gesehen hatte, mit allerlei Gerätschaften, einem Spezialstuhl, glänzenden Stangen, Haken und Ösen, Fesselungsmaterialien und
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