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Morddeutung: Roman (German Edition)

Morddeutung: Roman (German Edition)

Titel: Morddeutung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jed Rubenfeld
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Lüge veröffentlichen.«
    »Und die werden mir das einfach so abnehmen?«, fragte er.
    Bevor ich antworten konnte, bemerkte ich, dass Ferenczis und Roses Blick an mir vorbeigeglitten war. Ich drehte mich um und entdeckte ein blaues Augenpaar, das mich anschaute. Es war Nora Acton.

KAPITEL DREIUNDZWANZIG
     
    Ich glaube, mein Herz setzte tatsächlich mehrere Schläge lang aus. Alles an Nora Acton – die losen Haarsträhnen, die um ihre Wangen tanzten, die flehenden blauen Augen, die schlanken Arme, die weißen Handschuhe, die sich verjüngende Linie von ihrer Brust zu ihrer Taille – alles an ihr brachte mich um den Verstand.
    Als ich sie so vor mir stehen sah, beschlich mich der Verdacht, dass ich eine Behandlung nötiger hatte als sie. Einerseits konnte ich mir nicht vorstellen, je für eine andere Frau so empfinden zu können wie für sie, andererseits widerte sie mich an. Im Senkkasten, als mir der Tod im Nacken saß, hatte ich nichts anderes als Nora im Sinn gehabt. Doch jetzt, da ich sie leibhaftig vor mir hatte, kreisten meine Gedanken nur um das Geheimnis ihrer abscheulichen Sehnsüchte.
    Ich musste sie wohl um einiges länger angestarrt haben, als es die Höflichkeit erlaubte. Schließlich kam mir Rose Brill zu Hilfe. »Sie sind bestimmt Miss Acton. Wir sind Freunde von Dr. Freud und Dr. Younger. Können wir etwas für Sie tun, meine Liebe?«
    Mit bewundernswerter Anmut schüttelte Nora Hände, tauschte Nettigkeiten aus und ließ durchblicken, ohne es direkt auszusprechen, dass sie unter vier Augen mit mir reden wollte. Ich war mir sicher, dass das Mädchen zutiefst aufgewühlt war. Ihr gefasstes Auftreten war wirklich bemerkenswert, und nicht nur für eine Siebzehnjährige.
    Außer Hörweite der anderen sagte sie: »Ich bin von zu Hause weggelaufen. Ich habe niemand anders, zu dem ich gehen kann. Es tut mir leid. Ich weiß, Sie finden mich abstoßend.«
    Ihre letzten Worte bohrten sich wie ein Messer in mein Herz. »Wie können Sie glauben, dass Sie auf irgendjemanden so wirken, Miss Acton?«
    »Ich habe Ihr Gesicht gesehen. Ich hasse Ihren Dr. Freud. Wie kann er das nur wissen?«
    »Warum sind Sie davongelaufen?«
    Dem Mädchen stiegen die Tränen in die Augen. »Sie wollen mich einsperren. Sie bezeichnen es als Sanatorium; ich brauche jetzt ganz viel Ruhe, sagen sie. In Wirklichkeit handelt es sich um eine Irrenanstalt im Norden. Meine Mutter telefoniert seit dem Morgengrauen mit ihnen. Sie hat ihnen erzählt, dass ich mir einbilde, nachts überfallen zu werden – und dabei hat sie auch noch ihre Stimme erhoben, damit ich und auch Mr. und Mrs. Biggs alles hören können. Warum kann ich mich nicht … ganz normal daran erinnern?«
    »Weil er Ihnen Chloroform verabreicht hat.«
    »Chloroform?«
    »Ein chirurgisches Betäubungsmittel«, erklärte ich. »Es hat genau die Wirkung, die Sie beschrieben haben.«
    »Dann war er also doch da! Ich habe es gewusst. Warum macht er so was?«
    »Damit es so aussieht, als wären Sie es selbst gewesen. Damit Ihnen niemand mehr glaubt, auch was den ersten Überfall angeht«, antwortete ich.
    Sie sah mich an und wandte sich ab.
    »Ich habe Detective Littlemore informiert.«
    »Wird Mr. Banwell wieder zu mir kommen?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Wenigstens können mich meine Eltern jetzt nicht mehr in die Anstalt schicken.«
    »Doch, das können sie«, widersprach ich. »Sie sind noch ein Kind.«
    »Was?«
    »Solange Sie noch minderjährig sind, liegt die Entscheidung bei ihren Eltern«, erklärte ich. »Vielleicht glauben sie mir nicht. Wir können es nicht beweisen. Chloroform hinterlässt keine Spuren.«
    »Wie alt muss man sein, um nicht mehr als Kind zu gelten?«, fragte sie mit einem plötzlichen Drängen in der Stimme.
    »Achtzehn.«
    »Ich werde am Sonntag achtzehn.«
    »Wirklich?« Ich wollte sie schon beruhigen, dass sie demnach keine Zwangseinweisung zu befürchten hatte, doch dann beschlich mich eine böse Ahnung.
    »Was ist?« Sie klang besorgt.
    »Wir müssen sie bis Sonntag von Ihnen fernhalten. Wenn es ihnen gelingt, Sie heute oder morgen in die Anstalt zu bringen, können Sie erst nach Zustimmung Ihrer Eltern wieder entlassen werden.«
    »Auch wenn ich dann schon achtzehn bin?«
    »Ja.«
    »Dann laufe ich wirklich weg. Ich weiß schon – in unser Sommerhäuschen. Das ist jetzt leer, weil meine Eltern wieder hier sind. Dort wird er mich bestimmt nicht suchen. Niemand wird mich dort suchen. Können Sie mich nicht hinbringen? Es ist nur eine halbe Stunde

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