Morddeutung: Roman (German Edition)
nichts mehr über ihn herausfinden können. Die anderen Wäschereiarbeiter kannten ihn als Chong, aber mehr wussten sie nicht über ihn. Ein Assistent hatte ihn gebeten, tagsüber noch einmal vorbeizukommen und nach dem Buchhalter Mayhew zu fragen.
Littlemore fand Mayhew, der mit seinen Aufzeichnungen beschäftigt war, in einem rückwärtigen Büro. Der Detective fragte den Buchhalter nach dem Chinesen, der in der Wäscherei arbeitete.
»Gerade trage ich seinen Namen ein.« Mayhew blickte nicht von seiner Tätigkeit auf.
»Weil er heute nicht zur Arbeit erschienen ist?«, fragte Littlemore.
»Woher wissen Sie das?«
»Nur so geraten«, antwortete der Detective. Mayhew hatte die Informationen, die er brauchte. Der Chinese hieß mit vollem Namen Chong Sing. Seine Adresse war 782 Eighth Avenue in Midtown. Littlemore erkundigte sich, ob Mr. Chong auch Wäschelieferungen in den Alabaster-Flügel gemacht hatte – zum Beispiel bei Miss Riverford.
Mayhew wirkte amüsiert. »Das meinen Sie doch nicht ernst.«
»Warum nicht?«
»Der Mann ist Chinese.«
»Na und?«
»Wir führen hier ein erstklassiges Etablissement, Detective. Normalerweise stellen wir gar keine Chinesen ein. Chong durfte überhaupt nicht aus dem Keller. Er konnte von Glück sagen, dass er hier überhaupt einen Job gekriegt hat.«
»Da war er bestimmt dankbar«, meinte Littlemore. »Warum haben Sie ihn denn eingestellt?«
Mayhew zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Mr. Banwell hat uns gebeten, eine Arbeit für ihn zu finden, und das haben wir gemacht. Offensichtlich war ihm nicht bewusst, was für eine Ausnahme das war.«
Als Nächstes machte sich Littlemore auf die Suche nach dem Droschkenkutscher, der Samstagnacht den schwarzhaarigen Mann befördert hatte. Die Portiers wiesen den Detective auf die Stallung an der Amsterdam Avenue hin, wo alle Droschkenpferde untergebracht waren. Aber er konnte sich ruhig noch Zeit lassen, ließen sie ihn wissen. Die Nachtkutscher trafen erst um halb zehn oder zehn ein.
Die Unterbrechung kam Littlemore wie gerufen. So hatte er Gelegenheit, sich noch einmal in Miss Riverfords Apartment umzusehen und anschließend bei Betty vorbeizuschauen. Sie war viel besserer Laune als gestern. Nachdem sie sich zum Besuch eines Varietés bereit erklärt hatte, stellte Betty den Detective ihrer Mutter vor und umarmte zum Abschied ihre drei kleinen Brüder – die mit großen Augen die Pistole des Detectives bewunderten und begeistert waren, als sie mit seiner Dienstmarke und seinen Handschellen spielen durften. Wie sich herausstellte, hatte Betty eine neue Arbeit gefunden. Den ganzen Vormittag über hatte sie erfolglos in den größeren Hotels der Stadt vorgesprochen, auf der Suche nach einer Stelle für ein erfahrenes Dienstmädchen. In einer Hemdenfabrik in der Nähe des Washington Square war sie direkt zum Besitzer vorgelassen worden, der sie sofort genommen hatte. Schon morgen sollte sie anfangen.
Die Arbeitszeit von Bettys neuer Stelle war dagegen weniger berauschend: von sieben Uhr morgens bis acht Uhr abends. Auch die Bezahlung klang nicht besonders erfreulich. »Wenigstens ist es Akkord«, tröstete sie sich. »Mr. Harris meint, dass einige von den Mädels zwei Dollar am Tag verdienen.«
Gegen halb zehn lief Littlemore zu dem Stall an der Amsterdam Avenue in der Nähe der Hundredth Street hinüber. Im Verlauf der nächsten zwei Stunden kamen über ein Dutzend Droschkenkutscher herein, um ein Pferd abzugeben oder abzuholen. Littlemore sprach mit allen und war danach so schlau wie zuvor. Als die letzte Box leer war, riet der Stalljunge Littlemore, noch auf einen Veteranen zu warten, der ein eigenes Pferd besaß. Und tatsächlich schlurfte kurz vor zwölf ein nicht mehr ganz frischer Gaul herein, der von einem ebenfalls betagten Fahrer gelenkt wurde. Zunächst gab der Alte dem Detective keine Antwort, doch als Littlemore eine Vierteldollarmünze durch die Luft wirbeln ließ, fand er seine Sprache wieder. In der Tat, vor zwei Nächten war am Balmoral ein schwarzhaariger Mann bei ihm eingestiegen. Und wusste er noch, wohin sie gefahren waren? Ja: zum Hotel Manhattan.
Littlemore war sprachlos, aber der alte Fahrer war noch nicht fertig. »Und wissen Sie, was er dann gemacht hat? Setzt sich direkt vor meinen Augen in einen anderen Wagen, so eine rot-grüne Benzinkarre. Zieht mir das Geld aus der Tasche und schiebt es einem anderen hinten rein. Wie kommt der Kerl dazu, frag ich mich.«
Mit der plötzlichen Erklärung,
Weitere Kostenlose Bücher