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Morddeutung: Roman (German Edition)

Morddeutung: Roman (German Edition)

Titel: Morddeutung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jed Rubenfeld
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ENTKRÄFTET.
    »Also«, sinnierte Brill mit düsterer Miene, »wir werden gleichzeitig in Boston, in Worcester und in New York angegriffen. Das kann kein Zufall sein.«
    »Was ist Angriff in New York?«, fragte Ferenczi.
    »Diese Geschichte mit Jeremia und Sodom und Gomorrha.« Brill klang gereizt. »Diese zwei Nachrichten waren nicht die einzigen, die ich bekommen habe. Es hat noch viel mehr gegeben.«
    Wir waren alle überrascht und baten Brill um eine Erklärung.
    »Es hat angefangen, gleich nachdem ich mit der Übersetzung von Freuds Hysteriebuch begonnen hatte. Woher sie gewusst haben, was ich mache, ist mir ein Rätsel. Jedenfalls, schon in der ersten Woche kam die erste Nachricht, und seitdem ist es immer schlimmer geworden. Sie tauchen auf, wenn ich es am wenigsten erwarte. Die wollen mir drohen, da bin ich sicher. Jedes Mal ist es irgendeine mörderische Bibelstelle – und es geht immer um Juden, Wollust und Feuer. Ich kann mir nicht helfen, aber das kommt mir schon fast wie ein Pogrom vor.«

     
    Diesmal versuchte niemand, Littlemore aufzuhalten, als er die Treppe im Haus 782 Eighth Avenue hinaufstieg. Es war vier Uhr nachmittags. Im Restaurant wurde das Abendessen zubereitet, kantonesische Schreie durchbrachen das Zischen von Hühnchenteilen, die in kochendes Öl getaucht wurden. Littlemore hatte seit dem Morgen nichts mehr zu sich genommen und hätte nichts gegen eine Portion Chop Suey einzuwenden gehabt. In einem Gang oben hörte er Getrappel und flüsternde Stimmen. An der Tür zu Apartment 4C hatte sein Klopfen den gleichen Erfolg wie beim ersten Mal: nichts außer eilig flüchtenden Schritten auf der Hintertreppe.
    Littlemore sah auf die Uhr und zündete sich eine Zigarette an, um gegen die Düfte anzukämpfen, die durch den Korridor waberten. Er hoffte, noch rechtzeitig bei Betty zu sein, um sie zum Essen einladen zu können. Einige Minuten später marschierte Officer Reardon die Treppe herauf – mit einem demütigen, ängstlichen Chinesen im Schlepptau. »Genau wie Sie gesagt haben, Detective. Kam zur Hintertür rausgeschossen, als würde seine Hose brennen.«
    Littlemore musterte den jämmerlich dreinschauenden Chong Sing. »Sie möchten wohl nicht mit mir reden, Mr. Chong? Vielleicht sehen wir uns mal ein bisschen in Ihrer Bude um. Machen Sie auf.«
    Chong Sing war viel kleiner als Littlemore und Reardon. Er war stämmig gebaut mit flacher, breiter Nase und zerfurchter Haut. Er gestikulierte hilflos, um anzudeuten, dass er kein Englisch verstand.
    »Machen Sie auf.« Littlemore donnerte mit der Faust an die verschlossene Tür.
    Endlich zog der Chinese einen Schlüssel heraus und sperrte auf. Sein Einzimmerapartment war mustergültig aufgeräumt und sauber. Kein Staubkörnchen zu sehen, keine Teetasse am falschen Platz. Zwei niedrige Liegen mit schäbigen Decken darauf dienten anscheinend gleichzeitig als Betten, Sofas und Tische. Die Wände waren kahl. In einer Ecke brannten mehrere Räucherstäbchen, die die stickige, stehende Luft mit ihrem beißenden Geruch durchdrangen.
    »Alles schön sauber gemacht für uns.« Littlemore begutachtete das Ganze. »Sehr rücksichtsvoll. Aber da haben Sie was übersehen.« Mit dem Kinn deutete der Detective nach oben. Sowohl Chong Sing als auch Officer Reardon sahen hinauf. An der niedrigen Decke waren zwei dicke schwärzliche Schmierflecken zu sehen. Sie waren jeweils an die neunzig Zentimeter lang und befanden sich genau über den beiden Liegen.
    »Was ist das?«, fragte der Polizist.
    »Rußfleck«, erwiderte Littlemore. »Opium. Jack, ist Ihnen nichts Komisches an dem Fenster aufgefallen?«
    Reardon spähte zu dem einzigen kleinen Flügelfenster im Zimmer hinüber. »Nein. Was soll damit sein?«
    »Es ist geschlossen«, bemerkte Littlemore. »Achtunddreißig Grad, und das Fenster ist zu. Werfen Sie doch mal einen Blick raus.«
    Reardon öffnete das Fenster und beugte sich hinaus in einen schmalen Luftschacht. Als er sich wieder umwandte, hatte er den Arm voll mit Sachen, die er auf einem Sims weiter unten entdeckt hatte. Eine Öllampe mit Glasabdeckung, ein halbes Dutzend lange Pfeifen, Schalen und eine Nadel. Chong Sing schien völlig verwirrt. Kopfschüttelnd sah er von Littlemore zu Reardon und wieder zu Littlemore.
    »Betreiben Sie hier so eine Art Opiumhöhle, Mr. Chong?«, fragte der Detective. »Sind Sie im Balmoral mal rauf zu Miss Riverfords Apartment gegangen?«
    »Häh?« Chong Sing zuckte hilflos mit den Schultern.
    »Und wie kommt der rote

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