Mordkommission
extremen seelischen Notlagen zum Schutz ihrer Familienangehörigen »tatbestandsmäßige
Handlungen« begehen.
|81| In der Gewalt des Exfreundes
Geiselnahme! Auch dieses Delikt gehört in den Zuständigkeitsbereich einer Mordkommission.
Angestellte einer Gaststätte im Münchner Süden hatten aufgeregt beim Notruf der Polizei angerufen, wie uns die Einsatzzentrale
mitteilte. Der Geschäftsführer halte seine Exgeliebte, Irena Z., in einer Wohnung oberhalb des Lokals gefangen. Man habe laute
Hilferufe aus der Wohnung gehört, auf Klopfen und Rufen sei jedoch nicht reagiert worden. Irgendwann habe es in der Wohnung
laut geknallt und dann seien die Hilferufe immer leiser geworden. Momentan sei aus der Wohnung nur noch leises Wimmern zu
hören. Der Geschäftsführer sei im Besitz einer scharfen Schusswaffe, laut seiner Ehefrau habe er schon vor längerer Zeit Selbstmordabsichten
geäußert. Diese schätze die Situation als außerordentlich ernst ein und befürchte, dass ihr Mann seine Geliebte und anschließend
sich selbst töten könnte.
Zur Befreiung einer Geisel ist kein Mittel zu aufwändig und kein Personaleinsatz zu hoch. Die unversehrte Rettung der Geisel
hat oberste Priorität, gegenüber dieser Verpflichtung müssen alle anderen Maßnahmen zurückstehen. Die besondere Schwierigkeit
bei der Lösung einer Geisellage besteht darin, dass man die Verfassung des Geiselnehmers nur schwer beurteilen kann, da man
ja seine Persönlichkeit in der Regel nicht kennt. Außerordentlich wichtig ist es daher, möglichst bald Kontakt mit dem Geiselnehmer
herzustellen, ihn zu beruhigen und die Lage nicht eskalieren zu lassen. Um auf alle denkbaren Entwicklungen vorbereitet zu
sein, werden die verschiedensten Spezialisten alarmiert. Psychologisch besonders geschulte Beamte können bei Gesprächen mit
dem Täter beruhigenden Einfluss auf diesen ausüben und zugleich versuchen, ihn von der Fortsetzung seiner Tat abzuhalten.
Fernmelde- oder Kommunikationstechniker können ihr Fachwissen einbringen und Angehörige von Spezialeinsatzkommandos |82| sind darauf gedrillt, im Falle eines erforderlich werdenden Zugriffs das Leben der Opfer zu retten und dabei trotzdem das
Leben der Täter – wenn irgend möglich – zu schonen. Starke Polizeikräfte werden für weiträumige Absperrungen benötigt, da
mit Schusswaffen ausgerüstete Täter in der Vergangenheit immer wieder unbeteiligte Personen verletzt oder weitere Geiseln
in ihre Gewalt gebracht haben. Aber auch die Gefahr, dass im Falle eines Schusswaffengebrauchs Passanten oder Einsatzkräfte
zu Schaden kommen könnten, macht entsprechende Absperrmaßnahmen erforderlich.
Der Beamte der Zentrale gab mir einen schnellen Überblick über die Polizeieinheiten, die er bereits alarmiert hatte und die
nun unterwegs zum Einsatzort waren. Ich unterrichtete die Jourdienstbeamtin der Staatsanwaltschaft; sie bat darum, sie auf
dem Laufenden zu halten, begab sich jedoch zunächst nicht zum Tatort. Zusammen mit zwei Teams meiner Dienststelle fuhr ich
zum angegebenen Treffpunkt, dem Besucherparkplatz eines großen Friedhofs in der Nähe des Tatortes. Unser kleiner Konvoi bahnte
sich mühsam mit Blaulicht und Sirenengeheul einen Weg durch den Berufsverkehr. Uniformierte Polizeibeamte riegelten den Parkplatz
ab und sorgten dafür, dass nur Einsatzkräfte Zufahrt erhielten. Die unterschiedlichsten Einheiten waren aufgeboten, um für
alle Eventualitäten gerüstet zu sein, selbst Rettungsfahrzeuge und zwei Notarztwagen standen bereit. Der Einsatzleiter hatte
sich mit seinem Stab und den Führern der einzelnen Abschnitte im Hinterhof der Gaststätte zu einer Einsatzbesprechung zusammengefunden.
Schwer bewaffnete Angehörige des Spezialeinsatzkommandos bezogen eilig die ihnen zugewiesenen Positionen. Zwischen den Männern
bedurfte es keiner umständlichen Absprachen. Mit traumwandlerischer Sicherheit wusste jeder, was er wie zu tun hatte. Ich
hatte schon oft erlebt, mit welch unglaublicher Präzision Einsätze der Sondereinheiten vonstattengehen; eine Präzision, die
nur durch unentwegtes Training zu erreichen ist und höchste Anforderungen an die Männer des SEK stellt. Würde es ihnen auch
diesmal |83| gelingen, die Geisel unversehrt zu befreien? Wir befürchteten jedoch, dass die Frau bereits verletzt war, da die Zeugen von
einem Knall und Wimmern berichtet hatten.
Aus der Wohnung kam kein Lebenszeichen, sämtliche Kontaktversuche
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