Mordkommission
Holzbaracken, die im
Karree um eine Grünfläche mit einem Kinderspielplatz angeordnet waren.
Mein Dezernatsleiter bat mich, ebenfalls zu der Gemeinschaftsunterkunft zu fahren, um die weiteren Fahndungsmaßnahmen zu koordinieren.
Nur mühsam verschafften uns Sirenen und Blaulichter im dichten Verkehr und bei den winterlichen Straßenverhältnissen eine
schmale Gasse aus der Innenstadt heraus.
Als wir endlich unser Ziel erreichten, hatten die Kollegen vor Ort bereits gute Vorarbeit geleistet. Die Heimleitung war informiert
und stellte alle erforderlichen Informationen zur Verfügung, eine Anwohnerbefragung war bereits eingeleitet. Der Mann wurde
in seinem Zimmer angetroffen und erklärte sich damit einverstanden, zwei Kollegen zur Vernehmung in die Dienststelle zu begleiten.
Er wirkte ruhig und gelassen und vermittelte den Anschein, er habe nichts zu befürchten. Während der Mann im Dienstfahrzeug
der Kollegen Platz nahm, turnten ein paar Jungen im Schnee auf dem Spielplatz herum. Ich fragte mich, ob es eine glückliche
Lösung war, einen Knabenmörder in einer Einrichtung einzuquartieren, wo auch kleine Jungen mit ihren Familien wohnen.
In dem Heim lebten etwa hundert Personen, viele davon ausländische Mitbürger. Die tendenziell ablehnende Haltung gegenüber
der Polizei verwandelte sich aber rasch in bedingungslose Hilfsbereitschaft, sobald wir erklärt hatten, dass wir ein vermisstes
Kind suchten. Bereits die Befragung des vierten oder fünften Heimbewohners sollte sich als Volltreffer erweisen. Der Mann,
der allein in einem |89| Zimmer wohnte, erklärte uns, dass er seinen Zimmernachbarn erst seit Kurzem kenne. Er wisse nicht viel von ihm, nur, dass
er geschieden sei. Erst gestern hätten sie sowohl am Nachmittag als auch nochmals am späteren Abend zusammen etwas getrunken
und sich dabei natürlich auch unterhalten. Bei dieser Gelegenheit habe ihm der Mann das mit der Scheidung erzählt – vermutlich
nur deshalb, weil sein Sohn da gewesen sei.
Dieser völlig beiläufig geäußerte Satz ließ mich innerlich zusammenzucken. Was hatte der Zeuge da eben gesagt – »sein Sohn«?
Wir wussten inzwischen, dass der Mann keine Kinder hatte. Mit trockenem Mund hakte ich nach: »Wollen Sie sagen, dass Ihr Nachbar
gestern Nachmittag in Begleitung eines Jungen gewesen ist?« »Ja, klar, die sind in sein Zimmer gegangen und später hat er
mir erzählt, dass das sein Sohn ist.«
Angespannt baten wir den Mann, den »Sohn« seines Nachbarn zu beschreiben. Bereits als der Zeuge eine gelbe Winterjacke und
einen rot-schwarzen Rucksack erwähnte, war uns klar, dass er Peter gesehen hatte. Peter in Begleitung eines rechtskräftig
verurteilten Kindermörders, der ihn offenbar vor dem Elternhaus abgepasst und hierher verschleppt hatte. Und der sich anschließend
so besorgt an der Suche nach dem spurlos verschwundenen Jungen beteiligt hatte.
Mein Partner und ich sahen uns an. Eine düstere Vorahnung beschlich mich, dass wir vielleicht zu spät gekommen waren und den
Jungen nicht mehr lebend finden würden. Ich sah den Zorn und zugleich die wilde Entschlossenheit in den Augen meines Partners
und Freundes und erkannte, dass ihn die gleichen Gedanken quälten wie mich. Der Befragte spürte, dass irgendetwas nicht in
Ordnung war. »Sie schauen so komisch – glauben Sie mir etwa nicht? Es war genau so, wie ich es Ihnen erzählt habe, das kann
ich notfalls beschwören!« »Doch, doch, wir glauben Ihnen jedes Wort. Unser Problem ist nur – Ihr Nachbar hat keinen Sohn!«
Jetzt war es an unserem Gesprächspartner, verdutzt zu schauen. »Der hat gar keinen Sohn? Aber warum hat er |90| das dann behauptet? Und wer war dann der Junge wirklich?« Und plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. »Sie meinen …, nein, so was gibt’s nur im Fernsehen … Sie meinen wirklich …?« »Doch, wir befürchten, dass dem Jungen etwas zugestoßen ist. Jetzt kommt es auf jede Minute an. Ich möchte Sie bitten,
meinen Kollegen jeden Winkel, jeden Schacht und jede Versteckmöglichkeit zu zeigen, wo wir den Jungen finden könnten.« Ich
rief zwei Kollegen herbei und übergab ihnen unseren Zeugen, nachdem ich sie in knappen Worten informiert hatte. Sodann teilte
ich unserem Kommissariatsleiter mit, was wir herausgefunden hatten, und bat ihn, die Kollegen, die gerade mit dem Verdächtigen
ins Präsidium fuhren, per Handy zu informieren. Versiert wie die beiden waren, sollte es ihnen
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