Mordkommission
verstaubten in den Archiven.
|95| Mehr als zehn Jahre vergingen. Mittlerweile hatte die DN A-Technik ihren Einzug in viele Kriminallabore Deutschlands gehalten. Im Münchner Polizeipräsidium verschrieb sich ein Beamter des
Erkennungsdienstes in ganz besonderer Weise dieser Thematik und setzte maßgebliche Akzente bei der Entwicklung einer neuen
Methode zur Gewinnung feinster DN A-Spuren . Damit ist es möglich, geringste Reste von DNA selbst aus jahrzehntealten Asservaten zu extrahieren, zu vermehren und schließlich
aussagekräftige DN A-Muster zu gewinnen. Diese werden – wie die mit herkömmlichen Sicherungsmethoden gewonnenen – mit den in der Datenbank des Bundeskriminalamts
gespeicherten Tatspuren- und Personenmustern von Straftätern verglichen.
Schon bald nach meinem Wechsel zur Mordkommission beschloss meine Dienststelle, in unserem Kommissariat eine »Arbeitsgruppe
Altfälle« zu installieren, die alle ungeklärten Mordfälle neu aufrollen sollte. Schwerpunkt dabei sollte – unter Zuhilfenahme
der neu entwickelten DN A-Auswertungstechniken – die Überprüfung der Asservate sein, die (wie die Akten auch) in diversen Archiven und Kellern aufbewahrt werden, da Mord
in Deutschland bekanntlich niemals verjährt.
Mehr als siebzig ungeklärte Mordfälle seit dem Ende der Sechzigerjahre wurden erfasst und aufgelistet. Jeder Beamte der Mordkommission
erhielt – gewissermaßen als »Pate« – einige der Akten zur Überprüfung zugewiesen. Parallel dazu wurde auch beim Erkennungsdienst
eine Arbeitsgruppe gegründet, die sich zeitgleich um die Aufspürung und Auswertung der Asservate kümmerte.
Im Mai 2002 fiel mir die Akte zum Mordfall an Sinead O. erstmals in die Hände. Das Schicksal des Mädchens, das nachts in einer
fremden Stadt, in einer dunklen, menschenleeren Flussaue auf so schreckliche Art und Weise überfallen und niedergestochen
worden war, in seiner Todesangst wahrscheinlich stundenlang verzweifelt im kalten Wasser trieb und vergeblich auf Rettung
hoffte, ging nicht nur mir nahe.
|96| Für mich stand fest, dass dieser Fall einer der ersten sein würde, den wir zu klären versuchten. Bereits bei den früheren
Ermittlungen war ein großer Personenkreis überprüft worden, der nun nochmals intensiv durchleuchtet werden musste. Daher erschien
es angebracht, gleich zwei erfahrene Kollegen als »Paten« zu beauftragen, und ich selbst arbeitete auch mit.
Aus den Unterlagen von damals ergab sich, dass seinerzeit eine »große Menge Sperma« hatte gesichert werden können. Das Material
war zur Auswertung in ein Labor nach England geschickt worden, das laut den Akten zu jener Zeit führend auf dem Gebiet der
DN A-Untersuchungen war. Als Ergebnis war lediglich dokumentiert, dass die Menge der DNA für eine genauere Bestimmung nicht ausgereicht hatte.
Für uns war es von größtem Interesse, an die Unterlagen zu gelangen und nach Möglichkeit Reste des untersuchten Spermas aufzuspüren.
Doch alle Bemühungen, das Labor ausfindig zu machen, schlugen fehl, in den Akten fehlte jeder Hinweis darauf. Trotz monatelangen
intensiven Anstrengungen unter Einbindung von Interpol verlor sich die so verheißungsvolle Spur im Nichts.
Im Juli 2002 sendete ein Kollege den Slip des Opfers, der all die Jahre in einer unscheinbaren Schachtel in einem Keller aufbewahrt
worden war, zur Untersuchung ans Münchner Institut für Rechtsmedizin. Die Hoffnung, dabei noch tatrelevantes DN A-Material aufzufinden, war zugegebenermaßen nicht besonders groß.
Der Slip hing damals an den Fußgelenken des Mädchens, wie lange der Stoff im Wasser gewesen war, konnte niemand sagen. Es
konnten wenige Minuten gewesen sein, aber vielleicht auch mehrere Stunden. Fraglich war zudem, ob am Slip überhaupt jemals
DN A-Material des Täters gehaftet hatte. Und niemand konnte verlässliche Angaben dazu machen, ob das DN A-Material die lange Lagerung im Asservatenkeller unbeschadet hatte überstehen können.
Zu unserer großen Überraschung gelang es im Institut für Rechtsmedizin dann tatsächlich, molekulargenetische Spuren |97| und daraus eine DN A-Merkmalmischung zu sichern. Naturgemäß ließ sich aus der Spur selbst nicht ableiten, ob es sich um Sperma des Täters handelte oder um das
Sperma eines anderen Mannes, mit dem das Mädchen einvernehmlich Geschlechtsverkehr gehabt hatte. Aufgrund der Erkenntnisse
aus den damaligen Ermittlungen war jedoch davon auszugehen, dass die Spur
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