Mordkommission
gewärtigen hat. So kann
man sich unschwer ein Bild davon machen, wie der Beschuldigte reagiert, wenn er sich unwohl fühlt oder wenn er Angst hat.
Indem man dem Beschuldigten offen und ehrlich vor Augen führt, dass man als Angehöriger der Mordkommission die Aufgabe hat,
Morde aufzuklären und die dafür Verantwortlichen der Justiz zu überantworten, schafft man klare Fronten. Dies führt dazu,
dass der Beschuldigte zu dem Vernehmer trotz der Bedrohlichkeit der in Aussicht gestellten intensiven Ermittlungen ein gewisses
Vertrauensverhältnis aufbaut.
Im Laufe seiner Vernehmung durchlebt und zeigt der Beschuldigte unterschiedliche physische und psychische Phasen. Er wird
an die Tat erinnert, die er – wie dies bei der Aufklärung von Altfällen immer wieder vorkommt – häufig bereits aus seinen
Gedanken verdrängt hatte, und durchlebt nochmals die Zeit und die Umstände, die ihn zu der Tat veranlasst haben. Aber auch
tiefe Reue und Mitleid mit seinem Opfer und dessen Angehörigen können den Täter quälen, so mancher hat nach seiner Tat jeden
Halt verloren und landete irgendwann als menschenscheuer Sonderling auf der Straße. Andere berichten darüber, dass sie die
Schreie oder schrecklichen, gurgelnden Geräusche ihres Opfers während des Todeskampfes nicht mehr aus dem Gedächtnis bekommen.
Dann wieder gibt es Phasen während einer Vernehmung, in denen manche Täter beim Gedanken an die bevorstehende öffentliche
Schmach und die vor ihnen liegende Strafe Panikattacken erleiden. Täter, die sich an Kindern vergangen haben, befürchten zusätzlich
die tiefe Verachtung und Übergriffe durch andere Gefangene, für die Kinderschänder auf der untersten Stufe in der Gefängnishierarchie
stehen.
Täter, die aus einem scheinbar normalen Umfeld stammen, die verheiratet sind, Kinder haben, vielleicht hohes |116| Ansehen bei Freunden und Bekannten genießen und im Beruf etwas erreicht haben, erkennen, dass mit der Verhaftung und der zu
erwartenden Verurteilung von einem Moment zum anderen ihr bisheriges Leben zu Ende ist. Die bevorstehende Verlobung der Tochter,
der bereits gebuchte Urlaub, der begonnene Umbau des eigenen Hauses, die in Aussicht gestellte Beförderung, der bestellte
Neuwagen: alles mit einem Schlag hinfällig!
Wenn man den mutmaßlichen Täter durch das Aufzeigen von Widersprüchen, die Information über Zeugenaussagen oder objektive
Sachbeweise (wie beispielsweise Fingerabdrücke oder phonetische Gutachten) schließlich dazu gebracht hat, dass er die Sinnlosigkeit
weiteren Leugnens erkennen muss, so zeichnet sich das bevorstehende Geständnis nicht selten durch eine einleitende Frage des
Beschuldigten ab, die etwa so lautet: »
Angenommen, ich hätte mit der Sache
– das Wort »Mord« wird sorgfältig vermieden –
etwas zu tun: Mit welcher
Strafe müsste ich dann rechnen
?
« Wer hingegen Angst hat, sich selbst bereits in diesem Stadium der Vernehmung mit dem Begriff »Strafe« in Zusammenhang zu
bringen, fragt dann etwa so: »
Was für eine Strafe würde denn den, der das
getan hat, erwarten
?
« Nun gilt es, sich die innere Anspannung nicht anmerken zu lassen und möglichst ruhig und gelassen zu antworten, dass allein
die Staatsanwaltschaft und das Gericht über den Tatbestand entscheiden und die Höhe der Strafe festlegen können. Man tut so,
als habe man die Brisanz des Augenblickes nicht erkannt, dabei wagt man kaum mehr zu atmen, während man auf die Reaktion des
Gegenübers lauert. Eine fast unnatürlich wirkende Stille lastet plötzlich schwer wie Blei im Raum; die Situation erscheint
einem irgendwie surreal. Fast hat man Angst davor, durch eine falsche Bewegung oder eine unpassende Bemerkung den Bann zu
brechen, man fühlt sich ein bisschen so wie ein kleines Kind, das versucht, eine Seifenblase mit den Händen zu greifen, ohne
dass die Blase platzt.
Und dann fällt der entscheidende Satz in diese Stille, kurz nur, mit leiser Stimme ausgesprochen, und dennoch |117| hallt er im Kopf nach wie der Schuss aus einer Kanone: »
Ja, ich hab’s getan.
«
Mit diesem kleinen, unscheinbaren Satz geht vielleicht eine jahrelange Jagd nach einem Täter zu Ende, von dem man anfangs
nur wusste, was er gemacht hatte. Nach und nach erst konnten durch zähe und langwierige Ermittlungen mehr Erkenntnisse über
die Person des Unbekannten erlangt werden, die irgendwann schließlich dazu führten, dass der Beschuldigte ins Fadenkreuz der
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