Mordkommission
Vorbereitung. Sie sollte in einem Raum mit einer ruhigen Atmosphäre |111| stattfinden, neutral und eher spartanisch eingerichtet, um eine Ablenkung durch optische Reize zu verhindern. Selbstverständlich
muss die Eigensicherung gewährt sein. Ein Verdächtiger, der zu befürchten hat, dass er lebenslänglich ins Gefängnis und möglicherweise
anschließend für den Rest seines Lebens in Sicherungsverwahrung kommen wird, hat einen außerordentlich hohen Anreiz, sich
dieser düsteren Zukunft durch Angriff und Flucht zu entziehen.
Ein tatverdächtiger Zeuge (gegen ihn besteht ein vager Anfangsverdacht) und natürlich erst recht ein Beschuldigter (gegen
ihn liegt ein konkreter Tatverdacht vor) wird daher immer von mindestens zwei Polizeibeamten – im Normalfall die Vernehmungsbeamten
der Mordkommission – gleichzeitig beaufsichtigt. Seine Sitzposition ist so zu bestimmen, dass weder ein überraschender Angriff
noch ein Fluchtversuch möglich ist. Auch ein plötzlicher Sprung aus dem Fenster in Suizidabsicht ist immer ins Kalkül zu ziehen.
Ein Beschuldigter – bei Tötungsdelikten ist er zu diesem Zeitpunkt so gut wie immer bereits vorläufig festgenommen oder verhaftet
– wird vor Beginn jeder Vernehmung nach gefährlichen Gegenständen durchsucht. Fesselungen, die dem Beschuldigten während des
Transportes angelegt wurden, werden abgenommen, soweit dies aus Gründen der Eigensicherung vertretbar erscheint.
Der Vernehmungsbeamte – häufig, aber nicht zwangsläufig der Hauptsachbearbeiter des Vorganges – belehrt den Verdächtigen bzw.
den Beschuldigten vor Beginn der Vernehmung und stellt ihm dann die Fragen. Die Antworten des Beschuldigten diktiert er im
Idealfall (sprich: falls verfügbar) einer Schreibkraft, die die Vernehmung wörtlich protokolliert. Alle Unterbrechungen werden
mit den genauen Uhrzeiten im Protokoll vermerkt, so zum Beispiel Pausen, während derer sich der Beschuldigte mit seinem Anwalt
berät, aber auch Essens-, Kaffee- oder Rauchpausen und Toilettengänge. Ebenfalls protokolliert sollte werden, wann der zu
Vernehmende Speisen, Getränke oder Zigaretten erhält und um welche Speisen und Getränke es sich dabei handelt. Damit kann
man spätere Vorwürfe entkräften, der Beschuldigte habe unter Hunger und |112| Durst gelitten und nur deshalb ein – falsches – Geständnis abgelegt. Gibt ein Beschuldigter an, Medikamente einnehmen zu müssen,
so ist ihm dies erst zu gestatten, nachdem ein Arzt ihn untersucht und die Medikamente überprüft sowie sein Einverständnis
und eine klare Dosierungsanweisung erteilt hat. Dies ist ebenso im Protokoll zu vermerken wie Unterbrechungen, um ein Gebet
zu verrichten, wie dies beispielsweise im Islam zu bestimmten Zeiten vorgesehen ist.
Es sei an dieser Stelle noch erwähnt, dass während einer polizeilichen Vernehmung – im Gegensatz zu einer Vernehmung durch
die Staatsanwaltschaft oder das Gericht – der Rechtsanwalt eines Beschuldigten kein Anwesenheitsrecht hat. Gleichwohl kann
ihm der Vernehmungsbeamte das gestatten. Vor und zu jedem Zeitpunkt während einer Vernehmung kann sich ein Beschuldigter jedoch
mit einem Anwalt seiner Wahl beraten.
Die Beschuldigtenvernehmung bei Tötungsdelikten weist im Gegensatz zu allen anderen polizeilichen Vernehmungen zwei Besonderheiten
auf. Das liegt zum einen an der Strafbestimmung für Mord im Strafgesetzbuch. Der Mörder erhält eine lebenslange Freiheitsstrafe,
heißt es dort. Keine Chance also, den Hinweis einzusetzen, dass die Gerichte in der Regel ein frühes und umfassendes Geständnis
strafmildernd berücksichtigen. Lebenslang bietet dafür keinerlei Spielraum.
Zum anderen spielt der psychische Zustand des Beschuldigten während der Vernehmung eine außerordentlich wichtige Rolle. Der
Vernehmungsbeamte und der Beschuldigte sind sich – im Gegensatz zu Darstellungen in vielen Krimis – bis zum Zeitpunkt der
Vernehmung persönlich völlig unbekannt. Trotzdem muss der Vernehmungsbeamte versuchen, sein Gegenüber zu veranlassen, ihm
ein umfassendes Geständnis abzulegen. Und dabei vielleicht die abscheulichsten Details zu beichten, die sich ein Mensch nur
ausdenken kann. Der Täter soll womöglich darüber sprechen, wie grausam er sein Opfer über einen langen Zeitraum hinweg gequält
hat, wie er ein wehrloses, gefesseltes Kind trotz dessen verzweifelten |113| Flehens bestialisch ermordet und anschließend zerstückelt hat. Ja, vielleicht sogar
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