Mordkommission
allergrößter Wahrscheinlichkeit empfohlen, ohne vorherige Akteneinsicht keinerlei Angaben zur Sache zu machen.
Beim Studium der Ermittlungsakten hätte der Anwalt sofort erkannt, dass das im Slip des Opfers nachgewiesene Sperma des Beschuldigten
keinerlei zwingenden Beweis gegen seinen Mandanten darstellte. Niemand hätte die Behauptung, dass es bereits einige Zeit vor
der Tat zu einvernehmlichem Geschlechtsverkehr gekommen sei, widerlegen können. Ohne das Geständnis, bei dem der Täter letztlich
Täterwissen preisgegeben hat, wäre eine Verurteilung mangels weiterer Beweismittel nicht möglich gewesen.
Trotz solch scheinbarer »Unwägbarkeiten« wird dieses Recht eines Beschuldigten selbstverständlich von jedem Polizeibeamten
in Deutschland ohne Wenn und Aber respektiert. Auch dass ein Beschuldigter in gewissen Grenzen und für ihn völlig folgenlos
lügen darf, entspricht dem Willen unseres Gesetzgebers, wenngleich dieser Umstand nicht selten zu ganz erheblichem Mehraufwand
bei den Ermittlungen führt. So könnte ein Beschuldigter einfach behaupten, eine x-beliebige Person, die mittlerweile leider
irgendwo im Ausland lebt, könne ihm ein Alibi geben. Man kann sich unschwer vorstellen, wie aufwändig es ist, eine Person
ohne nähere Angaben zu ihrem tatsächlichen Auslandswohnort aufzuspüren, nur um dann die Bestätigung dafür zu erhalten, dass
ihr der Beschuldigte völlig unbekannt ist. Da diese Möglichkeiten zu schweigen oder zu lügen, um der Strafverfolgung zu entgehen,
aber nun mal Bestandteil unseres Strafverfahrensrechtes sind und damit auch unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung,
auf die jeder Polizeibeamte einen Eid geleistet hat, wird dieses Recht als selbstverständlich akzeptiert.
Nur schwer nachvollziehbar ist hingegen für viele Polizeibeamte, dass ein Beschuldigter in keiner Weise verpflichtet ist,
einer polizeilichen Ladung Folge zu leisten. So ist es für einen ermittelnden Polizeibeamten selbst bei Kapitaldelikten ausgeschlossen,
einen in Untersuchungshaft einsitzenden Beschuldigten ohne dessen Einverständnis zu |109| besuchen oder gar zu vernehmen. Hat der Verdächtige »keinen Bock, mit einem Bullen zu reden«, so bleibt er einfach in seiner
Zelle sitzen, zu der wiederum der Polizeibeamte keinen Zugang erhält. Ich gebe zu: Ich hätte keine überzeugenden Argumente
parat, um zum Beispiel den Eltern eines ermordeten Kindes zu erklären, dass es im Interesse unseres Rechtsstaates unabdingbar
erforderlich ist, Polizeibeamten zu verweigern, den möglichen Mörder ihres Kindes auch nur sehen zu dürfen, wenn diese Person
das nicht wünscht.
|110| Die Vernehmung – der wichtigste Schlüssel zum Erfolg
Die Berichte über die spektakulären Erfolge bei der Aufklärung lange zurückliegender Kapitalverbrechen dank solcher DN A-Treffer verleiten gern dazu, diese Technik als Universalwaffe im Kampf gegen das Verbrechen zu betrachten. Doch so wichtig der genetische
Fingerabdruck bei der Aufklärung von Verbrechen ist, lässt die Übereinstimmung von Tatortspuren mit dem DN A-Muster einer bestimmten Person – wie wir gesehen haben – nicht zwingend einen Rückschluss auf deren Täterschaft zu. Eine am Tatort
vorgefundene Zigarettenkippe kann jeder x-beliebige Raucher bereits vor der Tat dort weggeworfen haben. Ein Haar an der Jacke
eines Mordopfers kann bei einer völlig harmlosen, zufälligen Berührung in einer überfüllten U-Bahn Tage vor der Tat auf die Kleidung des späteren Opfers übertragen worden sein. Vor allem aber darf man einen Aspekt nicht
außer Acht lassen, nämlich die Möglichkeit, dass ein Täter bewusst einen Gegenstand mit DN A-Anhaftungen einer anderen Person am Tatort platziert, um eine falsche Spur zu legen.
Ob ein Tötungsdelikt aufgeklärt werden kann oder ob der Vorgang eines Tages als ungeklärter Altfall, als »cold case«, in den
Archiven zu verstauben beginnt, hängt also nach wie vor ganz wesentlich mit von der Vernehmung ab. Sie ist die hohe Schule
polizeilicher Handwerkskunst. Die folgenden Ausführungen wollen Ihnen einen kleinen Einblick in die kriminalistischen Besonderheiten
gewähren, Abweichungen sind natürlich möglich und hängen vom Typus des Beschuldigten und weitestgehend vom Erfahrungsschatz
des Vernehmungsbeamten ab.
Die Vernehmung eines mordverdächtigen Beschuldigten verlangt ein Höchstmaß an Konzentration und Ausdauer und – wenn irgend
möglich – auch eine intensive
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