Mordkommission
Hause des Ermordeten
entwendet worden war. Und daneben lag das abgeschnittene Ende des Stromkabels samt Stecker. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr!
Kurz darauf bestätigte eine DN A-Untersuchung des Radios, dass das sichergestellte Radio aus der Wohnung des Konditors stammte. Wir verpackten das Beweismittel sorgfältig
und machten uns mit dem gefesselten Beschuldigten auf dem Rücksitz auf den Rückweg nach München. Kurz vor zwei Uhr morgens
fuhren wir in Hof los. Es war kalt, dichte Nebelbänke lagen an vielen Stellen über der Autobahn und wir spürten alle, dass
der vergangene Tag nicht spurlos an uns vorübergegangen war. In völligem Schweigen und ohne Radiomusik fuhren wir stundenlang
durch die Finsternis. Kurz vor Dienstbeginn stellte ich den Motor unseres Dienstwagens ab. Übernächtigt übergaben wir den
Beschuldigten den beiden Kollegen meiner Kommission, die ausgeruht eben erst zur Arbeit erschienen waren. In knappen Worten
schilderten wir ihnen die Ereignisse der Nacht, dann überließen wir den Beschuldigten den Kollegen.
Als wir am frühen Nachmittag wieder in der Dienststelle eintrafen, berichteten mir die beiden Kollegen, dass er ihnen gegenüber
gestanden hatte, für den Tod des Konditors verantwortlich zu sein und die Leiche im Ausland verscharrt zu haben. Weitere Angaben
machte er nicht mehr.
Für einen Augenblick beschlich mich ein mulmiges Gefühl bei dem Gedanken, wie unglaublich viele belastende Indizien bis zuletzt
gegen die Person aus dem nahen Umfeld des Opfers gesprochen hatten, die nun erwiesenermaßen nichts mit dem Mord zu tun hatte!
Und ich war meinem Kollegen zutiefst dankbar, der sich trotz der Fülle der scheinbaren Indizien nicht davon hatte abbringen
lassen, selbst noch die allerkleinste und auch eine vermeintlich unbedeutende Spur so gründlich abzuklären. Wäre es vorstellbar,
dass hier am Ende ein Unschuldiger nur aufgrund einer scheinbar lückenlosen Indizienkette für die Tat zur Verantwortung |179| gezogen worden wäre? Gleich darauf aber schüttelte ich diesen Gedanken wieder ab: werden doch alle polizeilichen Ermittlungen
zuerst durch die Staatsanwaltschaft sorgfältig geprüft und dann durch unabhängige Schwurgerichte in allen Einzelheiten aufbereitet.
Bleibt dabei auch nur der allergeringste Zweifel an der Täterschaft eines Angeklagten bestehen, gibt es keine Verurteilung.
Diese Dreiteilung bietet einen höchstmöglichen Schutz vor Fehlurteilen und erst recht natürlich vor staatlicher Willkür.
Die Lebensgefährtin des Festgenommenen hatte unterdessen zerknirscht eingeräumt, dass sie die Geschichte mit den verkauften
Backformen und der Überweisung dem Beschuldigten zuliebe erzählt hatte. Eines Tages sahen sie zusammen die Fernsehfahndung
in ›Aktenzeichen XY ... ungelöst‹ und dabei erschrak ihr Freund sichtlich. Danach erzählte er ihr, dass der Vermisste, den er von früher kannte,
ihm Geld geschuldet hatte und es überweisen wollte. Da habe er seinerzeit einfach ihr Konto und einen anderen Verwendungszweck
angegeben, womit der Vermisste einverstanden gewesen sei. Als er nun hörte, dass der Mann vermutlich einem Verbrechen zum
Opfer gefallen war, habe er wegen seiner Vergangenheit Angst bekommen, zu Unrecht verdächtigt zu werden, und sie inständig
gebeten, sollte sie jemals vernommen werden, bei ihrer Vernehmung zu lügen und nichts von ihm zu erzählen. Sie glaubte seiner
Versicherung und handelte entsprechend. Dass ihm ihr Handy zum Verhängnis werden sollte, ahnte sie nicht.
Bis zur Verhandlung schwieg der Beschuldigte eisern. Nach wie vor war unklar, wohin er die Leiche des Konditors gebracht hatte.
Dann aber trat eine unerwartete Wende im Prozess ein: Der Angeklagte erklärte sich bereit, meinem Kollegen die Stelle zu zeigen,
an der er sein Opfer vergraben hatte. Und zwar würde er diese Stelle über das Programm Google Earth ausweisen. Im Internetraum
unserer Dienststelle – bis dato hatten wir nämlich nur einen einzigen Internetanschluss für 25 Mordermittler! – versammelten sich kurz darauf Staatsanwälte, Verteidiger und Kollegen. Der |180| Angeklagte saß neben unserem Sachbearbeiter vor einem PC und gemeinsam zoomten sie über Google Earth einen Landkartenausschnitt
aus Italien auf den Bildschirm. Nach Anweisung des Beschuldigten vergrößerte der Kollege den Bildausschnitt so lange, bis
ein Strandbad in der Nähe von Bibione zu erkennen war. Schließlich zeigte der
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