Mordkommission
bereits wieder in einer kleinen Seitenstraße im Westen Münchens, es ging um versuchten Mord. Um 21.30 Uhr hatte mich der Kriminaldauerdienst informiert, dass ein Mann seiner Exfrau im Treppenhaus aufgelauert und ihr mit |183| wuchtigen Messerstichen in den Unterleib lebensgefährliche Verletzungen beigebracht hatte. Nachbarn hörten die gellenden Schreie
der Verletzten und stürmten ins Treppenhaus, wo sie den Angreifer an der Vollendung seines heimtückischen Mordanschlags hinderten.
Der Täter flüchtete, war aber dank der schnellen Alarmierung der Polizei und der guten Beschreibung, die einer der Zeugen
bereits am Telefon durchgegeben hatte, kurz nach der Tat von jungen Kollegen der Einsatzhundertschaft festgenommen worden.
Damit stand fest, dass unsere Ehefrauen in dieser Nacht garantiert schnarchfrei ruhen würden.
Der Bruder der Verletzten, einer seit mehreren Jahren in München lebenden Afghanin, kam an den Tatort, um das Kleinkind seiner
Schwester bis auf Weiteres in seine Obhut zu nehmen. Von den Bereitschaftsbeamten des Erkennungsdienstes erfuhren wir, dass
der beschuldigte Mehmet V., der getrennt lebende Ehemann des Opfers und Vater des Kindes, am Nachmittag in seiner Asylbewerberunterkunft
einem Mitbewohner ein Messer entwendet hatte – offensichtlich in der Absicht, es gegen seine Frau einzusetzen. Am Abend suchte
Mehmet V. seine Frau in ihrer Wohnung auf, es kam zum Streit, in dessen Verlauf der Beschuldigte seiner Frau das Messer mehrfach
in den Unterleib stieß. Mit letzter Kraft gelang es ihr, sich ins Treppenhaus zu flüchten.
Bald nach unserem Eintreffen fuhr ein V W-Bus der Einsatzhundertschaft am Tatort vor. Im Auto saß bewacht und gefesselt der Beschuldigte. Nachdem wir ihn nochmals eingehend
über seine Rechte belehrt hatten, war er bereit, uns zu zeigen, wo er auf der Flucht das Messer weggeworfen hatte. Tatsächlich
fand sich an der bezeichneten Stelle, einem Busch in unmittelbarer Nähe des Anwesens, ein Küchenmesser mit rötlichen Antragungen.
Die spätere DN A-Analyse bestätigte, dass es sich um das Blut des Opfers handelte. Obwohl aufgrund der Aussage der verletzten Afghanin vor ihrer Einlieferung
ins Krankenhaus, der Beobachtungen der Zeugen, die Mehmet V. auf der Flucht gesehen hatten, und des Hinweises auf die Tatwaffe
durch |184| ihn selbst kein vernünftiger Zweifel daran bestehen konnte, dass Mehmet V. tatsächlich der Täter war, leugnete er zunächst.
Was folgte, waren Routinemaßnahmen. Aus dem Krankenhaus waren inzwischen hoffnungsfrohe Nachrichten gekommen: Trotz der Schwere
der Verletzungen würde die Frau den Mordanschlag überleben. Kurz vor Mittag hatten wir alles Unaufschiebbare erledigt und
fuhren nach Hause. Während ich duschte, dachte ich einen Augenblick daran, wie oft ich schon Verabredungen kurzfristig wegen
eines Einsatzes abgesagt oder meine Frau beim Essen allein gelassen hatte. Doch spürte ich rasch, dass derartig tiefschürfende
Betrachtungen im Moment meine geistigen Kapazitäten überstiegen. Nach dem Essen – den Erzählungen meiner Frau vermochte ich
nicht wirklich zu folgen, weshalb sie die Berichterstattung irgendwann einstellte – sank ich mit dem festen Vorsatz in die
Federn, frühestens am nächsten Morgen mein Bett wieder zu verlassen.
Leider hatte ich es versäumt, diesen Vorsatz auch der Kollegin des Kriminaldauerdienstes mitzuteilen, die sich nachmittags
um 15 Uhr meldete. Wenn man zwei Tage durchgehend wach ist und versucht, konzentriert und aufmerksam zu arbeiten, so sind hundertzwanzig
Minuten Tiefschlaf mindestens sechshundert Minuten zu wenig, um ein klingelndes Handy irgendwo in einer fernen Welt orten
zu können. Erst mal. Irgendwann aber ist das Handy stärker. Sollte ein Handy so was wie eine Ehre oder eine Seele haben, werde
ich wohl dereinst wegen schwerer Beleidigung und Misshandlung von Kommunikationstechnik vor dem jüngsten Handygericht erscheinen
müssen …
Während ich noch überlegte, ob ich erst zwei oder schon sechsundzwanzig Stunden geschlafen hatte, signalisierten mir meine
Beine: Es waren erst zwei Stunden. Die Kollegin vom Kriminaldauerdienst berichtete, dass es am Bahnhofsvorplatz eine Auseinandersetzung
zwischen mehreren Jugendlichen gegeben hatte. Dabei war einem Jungen ein großes Messer mit voller Wucht ins Auge gerammt worden. |185| Die zwei Täter, vermutlich Vietnamesen wie der Geschädigte selbst auch, waren flüchtig, der
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