Mordkommission
vietnamesischer
Schüler, würde sein Augenlicht behalten und vermutlich auch keinerlei bleibende Schäden davontragen. Erleichtert atmete ich
auf. Das Schicksal des Jungen war uns ziemlich nahe gegangen.
Außerdem waren ihm die beiden Angreifer flüchtig bekannt. Er wusste sogar ihre Vornamen. Erst zwei Tage vor der Messerattacke
hatte er mit den beiden wegen eines Mädchens Streit gehabt. Zivile Beamte überprüften daraufhin die Adresse des Mädchens,
das in einer Trabantenstadt am Stadtrand wohnte, und die üblichen Treffpunkte von Jugendlichen aus diesem Viertel. Das Mädchen
trafen sie nicht an, andere Jugendliche glaubten jedoch die beiden Verdächtigen zu kennen. Ein Jugendlicher berichtete, dass
er zufällig vor einiger Zeit im selben Bus wie der mutmaßliche Messerstecher im Münchner Westen unterwegs gewesen war. Er
hatte mitbekommen, an welcher Haltestelle der Gesuchte ausstieg und in welche Richtung er ging. Irgendwo dort in der Nähe
solle der Typ in einem Heim wohnen.
Damit hatten wir überraschend schnell einen guten Ermittlungsansatz. Die örtlich zuständige Polizeiinspektion teilte uns alle
in Frage kommenden Einrichtungen in dieser Gegend mit. Wir fuhren zur ersten der angegebenen Heimadressen, Fehlanzeige: Kein
einziger der Heimbewohner war asiatischer Herkunft. So fragten wir uns bei mehreren Heimen vergeblich durch, schließlich war
keine einzige Einrichtung für männliche Jugendliche mehr auf unserer Liste übrig. Da wurden wir über Funk von einer Zivilstreife
um ein Treffen gebeten. Als wir an der vereinbarten Stelle aus dem Fahrzeug stiegen, bog ein älterer Audi auf den einsamen
Parkplatz ein. Die beiden jungen Männer, die gleich darauf auf uns zukamen, sahen nicht gerade vertrauenerweckend |188| aus. Das Outfit der Kollegen von der Zivilstreife unterschied sich nur unwesentlich von dem, was die »Null-Bock-No-Future-Generation«
zu jener Zeit trug. Und mir wurde wieder einmal bewusst, warum die Erfolgsquote unserer zivilen Einsatzgruppen so hoch ist
– es geht doch nichts über eine perfekte Tarnung. Die Kollegen hatten von unserer Suche nach einem jugendlichen Vietnamesen
erfahren. Vor mehreren Wochen waren sie in ihrem Revier einmal zufällig auf ein Reihenhaus in guter Lage gestoßen, das vom
Jugendamt angemietet war. Bei dieser Gelegenheit hatten sie die Bewohner des Hauses überprüft und dabei auch die Personalien
eines Vietnamesen erhalten, der denselben Vornamen wie der von uns Gesuchte trug und exakt der Beschreibung entsprach. Unter
Berücksichtigung aller Erkenntnisse gelangte ich zu der Überzeugung, dass gegen diesen nunmehr ein dringender Tatverdacht
vorlag. Es war mittlerweile bereits weit nach Mitternacht. Da nicht davon auszugehen war, dass der Täter in aller Ruhe zu
Hause auf das Eintreffen der Polizei warten würde, war Eile geboten. Sicher war ihm klar, dass die Polizei über kurz oder
lang zu ihm kommen würde.
Ich ordnete also aufgrund von Gefahr im Verzug die sofortige Durchsuchung des Reihenhauses an. Zwei Kollegen sicherten die
Rückseite des Gebäudes, das an dicht bewachsene Gärten grenzte. Dann läuteten wir, doch obwohl noch in zwei Fenstern Licht
brannte, rührte sich nichts im Haus. Nun griffen wir zur Selbsthilfe. Einer der Kollegen öffnete die Haustür von außen mittels
einer altbewährten Methode, ohne dabei das Schloss oder das Türblatt zu beschädigen. Sofort verteilten wir uns im Treppenhaus.
Dann klopfte ich an der Tür im ersten Stock, hinter der Licht zu sehen war. Nach mehrfacher Wiederholung wurde die Tür einen
Spalt breit geöffnet. Zur Eigensicherung hatten wir längst unsere Dienstwaffen gezogen. Gespannt beobachteten mein Kollege
und ich, wie sich der Türspalt vergrößerte. Würden wir gleich dem skrupellosen Täter gegenüberstehen, der gezeigt hatte, dass
er nicht einmal inmitten einer großen Menschenmenge vor Gewalt zurückschreckte?
|189| Als ich dann jedoch das blasse Gesicht hinter der Brille sah, das verunsichert auf uns blickte, war es klar, dass wir hier
nicht unseren Täter vor uns hatten. Nichts am Aussehen des äußerst spärlich bekleideten jungen Mannes ließ auch nur im Entferntesten
an eine asiatische Herkunft denken. Sein bayerischer Dialekt trug ein Übriges zur sofortigen Entspannung der Lage bei. Ich
hielt dem Jungen meinen Dienstausweis entgegen und erklärte leise den Grund unserer Anwesenheit. Auf meine Frage, ob er allein
in seinem Zimmer
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