Mordkommission
der Pkw, ein dunkler Golf mit Münchner Kennzeichen, wie er sagte, rückwärts auf
die Fahrbahn und fuhr stadteinwärts. Der Beifahrer lief unterdessen die Straße hinunter und verschwand nach etwa fünfzig Metern
in einer Hofeinfahrt. Da sich sein Kollege nicht mehr rührte, rannte der Mann in die Gaststätte zurück und alarmierte die
dort noch Feiernden. Einer verständigte den Notarzt, während die anderen vergeblich versuchten, ihrem Kumpel zu helfen.
Noch vor unserem Eintreffen hatte die Nachricht vom Tod des Mannes seine Kollegen erreicht. Diese stammten aus einem der neuen
Bundesländer und waren als Saisonarbeiter beim Aufbau des Oktoberfestes beschäftigt. Nun waren sie in ausgesprochen aggressiver
Stimmung, was durch den vorausgegangenen Alkoholkonsum noch verstärkt wurde. Zur Sicherheit hatten wir mehrere Gruppen der
Einsatzhundertschaft angefordert, um zu verhindern, dass sich die in Wut verwandelte Trauer der Arbeitskollegen des Opfers
gegen Unbeteiligte entlud.
Zunächst galt es, die Fahndung nach dem Fahrzeug und dem zu Fuß geflüchteten Beifahrer zu intensivieren. Die in |194| Frage kommenden Hofeinfahrten wurden abgesucht, Anwohner aufgesucht und befragt. Zahllose dunkle VW Golf mit Münchner Kennzeichen
wurden im gesamten Stadtgebiet gestoppt und kontrolliert, ohne dass einer der Fahrer als Täter in Betracht gekommen wäre.
Es war ausgesprochenes Pech, dass der Täter ausgerechnet einen dunklen Golf fuhr, vermutlich der Fahrzeugtyp, der zu jener
Zeit am häufigsten in München zugelassen war. Sollte sich kein anderer Hinweis auf den Fahrzeughalter ergeben, würden wir
Hunderte oder gar Tausende Halter überprüfen müssen. Das war, um ehrlich zu sein, keine besonders berauschende Vorstellung.
Doch erst einmal gingen wir natürlich der Frage nach, warum das Fahrzeug überhaupt in der Zufahrt zur Pension gehalten hatte.
Vielleicht hatte der Fahrer einen Bekannten zur Pension gebracht und sich vor der Verabschiedung noch ein wenig mit ihm neben
dem Fahrzeug unterhalten. Der Begleiter des Opfers hatte uns eine – wenn auch vage – Beschreibung der beiden Männer gegeben,
die vermuten ließ, dass es sich um türkische Staatsangehörige handelte. Doch auf keinen der Gäste aus der Pension traf die
Beschreibung zu. Schließlich brachen wir die Nahbereichsfahndung ab und fuhren zur Dienststelle.
Stunden später kamen die übrigen Kollegen ausgeruht aus dem Wochenende. Es dauerte diesmal ziemlich lange, bis ich bei der
täglichen Morgenbesprechung von unseren Fällen der letzten Tage berichtet hatte. Mehrere Kollegen sagten uns spontan ihre
Unterstützung zu, da eine Menge an Arbeit auf uns wartete, die wir allein in unserer Kommission in der erforderlichen Zeit
nicht bewältigen konnten. Eine Kommission übernahm dankenswerterweise die weiteren Ermittlungen im Falle des verletzten Vietnamesen.
Tatsächlich gelang es in relativ kurzer Zeit, beide Tatverdächtige in anderen Bundesländern zu ermitteln und festzunehmen.
Nachdem alle Maßnahmen besprochen und die Aufgaben verteilt waren, übergaben wir die Handys und die Bereitschaftsfahrzeuge |195| der nächsten Kommission, die nun ihrerseits eine Woche lang die Mordbereitschaft übernahm.
Es waren mehrere Tage vergangen, die Zeitungen hatten über den tödlichen Zwischenfall vor der Pension berichtet, als auf meinem
Schreibtisch das Telefon läutete. Eine weibliche Stimme mit leicht ausländischem Akzent meldete sich und erkundigte sich,
ob ich für diesen Fall zuständig sei. Die Frau erklärte, sie habe das Geschehen beobachtet, aber erst jetzt, als sie zufällig
die Zeitung vom letzten Montag nochmals durchblätterte, gelesen, dass einer der Männer tot sei. Deshalb melde sie sich nun,
um ihre Beobachtungen mitzuteilen. Vor allem aber wolle sie Angaben zu dem Auto machen, das in der Zeitung als dunkler VW
Golf beschrieben wurde. Dies komme ihr merkwürdig vor, da sie genau wisse, dass es ein heller Opel gewesen sei. Ich stutzte.
Sollte sich unser Zeuge so geirrt haben? Gespannt erkundigte ich mich bei der Anruferin, ob sie sich denn bezüglich des Fahrzeugtyps
sicher sei? Ja, absolut! Und außerdem – ich glaubte, meinen Ohren nicht zu trauen – habe sie das Kennzeichen notiert. Das
saß! Eine neutrale Augenzeugin, die das Kennzeichen des Täterfahrzeuges notiert hatte! So etwas sind ausgesprochene Sternstunden
im Leben jedes Kriminalers. Behutsam, um sie nur ja nicht zu
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