Mordlast
mitgeteilt, dass am nächsten Morgen wieder eine Einsatzbesprechung stattfinden würde. Eigentlich war es nur eine Terminanfrage und nicht einmal eine Mail.
Er dachte an Glasnudeln mit scharfem Curry und Tofu und einen Bananenshake. Die Müdigkeit war noch nicht verflogen und sie würde noch stärker werden, wenn er etwas essen würde, aber er hatte trotzdem Hunger. Die Uhr zeigte viertel nach zwölf. Normalerweise ging er jetzt in die Kantine. Manchmal in die hauseigene, oft aber auch in die von anderen Behörden, in deren Nähe er gerade arbeitete: Finanzämter, Arbeitsagenturen, Stadtverwaltungen oder Ministerien.
Davídsson hatte jetzt keinen Appetit auf fettiges Kantinenessen, zumal es in der des BKA heute nur Fisch gab oder ein deftiges bayerisches Essen. Auf beides hatte er jetzt keine Lust. Er rief seinen Freund Marian Zajícek an, der in der Tschechischen Botschaft arbeitete.
Kennengelernt hatten sie sich bereits Jahre bevor Davídsson nach Berlin kam. Marian war in seiner Heimat, der Tschechischen Republik, in der Bürgersicherheitskommission mit der Demokratisierung der Sicherheitskräfte unmittelbar nach dem politischen Wechsel 1991 beauftragt worden. Er hatte in Zusammenarbeit mit der NATO den dortigen Polizeiapparat im Auftrag des Innenministeriums reformiert.
Davídsson, der damals noch für die amerikanischen Streitkräfte arbeitete, die wiederum von der NATO beauftragt worden waren, die osteuropäischen Länder bei der Demokratisierung zu unterstützen, war damals einer seiner Berater. Nachdem Zajíceks Auftrag erfüllt war, hatte dieser sich entschieden, sich bei der Tschechischen Botschaft in Berlin für die polizeiliche Zusammenarbeit beider Länder einzusetzen.
So hatten sich ihre Wege in Berlin abermals gekreuzt und seitdem verband sie diese Freundschaft.
Es war das gewachsene Vertrauen ihrer gemeinsamen Arbeit und die Begeisterung Zajíceks für Werte und Grundprinzipien, die er gegen den zum Teil erheblichen Widerstand aus den eigenen Reihen der Bürgersicherheitskommission verteidigte, die sie miteinander verband.
Davídsson hatte mit Begeisterung festgestellt, dass sie in vielen Punkten übereinstimmten, und aus dieser rein geschäftlichen Zusammenarbeit wurde eine interessante Freundschaft zwischen Männern. Und dann teilten sie noch die Freude am Sport.
Marian Zajícek war sofort einverstanden, als ihm Davídsson vorschlug, bei ›Monsieur Vuong‹ essen zu gehen. Um diese Zeit war dort zwar kaum noch ein Platz zu bekommen, aber dafür war es genau das, worauf Davídsson jetzt Appetit hatte.
»Die Sache mit der Zitronensäure hat mir keine Ruhe gelassen.« Der Gerichtsmediziner hatte das Wort ergriffen, ohne dass Engbers ihn dazu aufgefordert hatte. »Das toxikologische Gutachten bringt mehr Licht in die Sache.«
»Lass’ es raus, Heinzelmann«, sagte Engbers. Vielleicht war es seine Art, den letzten Fauxpas wiedergutzumachen.
»Die Toxikologie hat hohe Konzentrationen in seinem Körper gefunden. Zitronensäure kommt in Äpfeln, Birnen, Himbeeren, Johannisbeeren, in Nadelhölzern, Pilzen, Tabakblättern, im Wein und sogar in der Milch vor. Bernd Propstmeyer hat die Zitronensäure aber wahrscheinlich fast ausschließlich über das Essen von Orangen in den Körper aufgenommen. Wir haben Spuren des Konservierungsstoffes Thiabendazol oder abgekürzt E233 unter den Fingernägeln gefunden. Dieser Konservierungsstoff wird den Wachsen beigemischt, mit denen die Schalen von Zitrusfrüchten und Bananen behandelt werden. Dabei soll es die Bildung von Schimmel verhindern.« Heinzelmann sah kurz in die Runde. »In Deutschland dürfen auf und in Zitrusfrüchten maximal sechs Milligramm Thiabendazol pro Kilogramm enthalten sein. Bei eurem Opfer haben wir eine Konzentration von mehr als zwei Gramm im Blut gefunden.«
»Bernd Propstmeyer hat also gerne Orangen gegessen«, warf Engbers jetzt ein.
»Navelorangen.«
»Was?«
»Genauer gesagt Washington Navel. Wir haben Reste davon in seinem Magen gefunden. Diese besondere Art von Orange kommt ursprünglich aus Brasilien, wird heute aber auch in anderen Regionen der Erde angebaut. Sie ist erstens an ihrer großen Fruchtgröße erkennbar und zweitens hat sie eine Ausstülpung an der Spitze, wo sich eine zweite, meist unterentwickelte Tochterfrucht gebildet hat.«
»Was bringt uns dieses ganze Wissen über Orangen?«
»Wissen macht klüger«, antwortete Heinzelmann, der offenbar keine Lust hatte, die Frage ernst zu nehmen. »Während du
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