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Mordlast

Mordlast

Titel: Mordlast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Guzewicz
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heißt sie ja Evelyn Schrauder, aber sie ist etwas … seltsam.«
    »Aha.« Er überlegte einen kurzen Moment. »Seltsam vielleicht, aber auf jeden Fall nicht ehrlich. Dass ihr das alle nicht mitbekommen habt, wundert mich aber schon ein bisschen.« Er legte seine Brille auf den Tisch. Sie wirkte wie ein Vergrößerungsglas, durch das die Schrammen und Kratzer wie kleine Krater wirkten. »In der Berliner Philharmonie hat es am Dienstag vor dem Mord im Großen Saal gebrannt. Alle Veranstaltungen und die Führungen sind bis zum 2. Juni abgesagt worden.«
    »Was?« Engbers war von seinem Stuhl aufgesprungen und fuhr sich ein paarmal über den Nacken. »Aber es gibt doch auch die abgerissene Eintrittskarte am Tatort?«
    »Eintrittskarten abreißen kann jeder. Auch eine Evelyn soundso. Ich habe meine Karten jedenfalls umgetauscht bekommen, weil sie noch nicht abgerissen waren.«
    »Diese blöde Kuh hat uns also wahrscheinlich auch noch angelogen.«
    »Das ist ja nicht das erste Mal, dass ein Zeuge lügt«, sagte Andreas Rach. Keiner wusste, ob sein Kommentar als Scherz gedacht war.
    »Ein Zeuge kann dadurch schnell aufsteigen. Man nennt so jemanden dann auch ›Verdächtiger‹«, sagte Engbers, der immer noch seinen Nacken bearbeitete.
    Davídsson sah, dass sie ihr rosa Kleid gegen eine Jeans und ein weißes Shirt getauscht hatte. Die Sachen waren moderner, aber sie passten nicht zu ihr. Evelyn Schrauder arbeitete in einem schmalen Gartenstück an einem Baum. Sie hielt eine Säge in der Hand und am Boden lagen ein paar dünne Zweige sorgfältig übereinandergestapelt.
    Sieht so eine trauernde Freundin aus?, überlegte Davídsson. Er dachte an seine Schwester und ihre Trauer, als ihre Mutter gestorben war. Es war eine Erlösung für die Mutter gewesen, aber nicht für ihre Kinder.
    Engbers ging zu ihr auf den Rasen. Er war etwa gleich groß wie sie, versuchte jetzt aber größer zu wirken, indem er sich gerade aufrichtete. Vielleicht hielt er das für erforderlich, um sich einen gewissen Respekt zu verschaffen, aber eigentlich sah es ein wenig albern aus. Sie ließ die Säge auf die Erde fallen und sah ihn aus kalten Augen an.
    Keine Trauer, dachte Davídsson.
    »In welchem Stück waren Sie und Herr Propstmeyer eigentlich an dem Sonntag vor seinem gewaltsamen Tod?« Engbers fiel direkt mit der Tür ins Haus.
    Sie sah ihn etwas verwundert an. Wahrscheinlich hatte sie mit einer anderen Frage gerechnet.
    »Wir sind in so vielen Stücken gewesen, dass ich es nicht mehr mit Bestimmtheit sagen kann, aber ich glaube, die Veranstaltung hieß ›Pianist in Residence‹. Ich glaube aber nicht, dass Ihnen das etwas sagt.« Sie sah ihn herablassend an und Engbers verfiel wieder in seine normale Körperhaltung. »›Clavierkonzert Nr. 5 f-Moll BWV1056‹ von Johann Sebastian Bach, ›Contrasts Sz 111‹ von Béla Bartók und das dritte Stück weiß ich leider nicht mehr, aber ich kann Ihnen ja das Programmheft mitgeben, wenn Sie ein gesteigertes Interesse an der Kunst entdeckt haben.«
    »War es warm dort?« Engbers sah sie mit funkelnden Augen an.
    »Was?« Sie erwiderte seinen Blick mit Verständnislosigkeit.
    »Am Dienstag hat der Große Saal gebrannt. Alle Konzerte sind abgesagt worden.«
    Sie lächelte abwesend.
    »Sie haben uns angelogen«, sagte Engbers. Er ging ein Stück auf sie zu und blieb genau über der Säge stehen.
    »Und? Was macht das schon für einen Unterschied?«
    »Sie kommen mit. Das ist der Unterschied.« Engbers nahm sie beim Handgelenk und zerrte sie auf den Weg zu der Holzhütte, die als Gartenhaus diente. »Haben Sie hier irgendetwas, das Sie für die Nacht einpacken können? Eine Zahnbürste, ein Nachthemd? Oder sollen wir noch bei Ihnen zu Hause vorbeifahren?«
    »Bin ich etwa festgenommen?« In ihrem Blick war immer noch ein Hauch von Spott.
    »Sie sind eine Verdächtige in einem Mordfall. Das dritte Stück war übrigens auch von Béla Bartók, und zwar die ›Sonate für zwei Klaviere und zwei Schlagzeuger Sz110‹.«
    Engbers hatte seine Hausaufgaben gemacht. Der Spott war schlagartig aus ihrem Blick verschwunden.
     
    Sie waren schweigend zur Keithstraße gefahren. Evelyn Schrauder hatte hinten gesessen und Davídsson neben Engbers, der während der ganzen Fahrt still nachdachte.
    Jetzt waren sie in Verhörraum Nummer drei.
    Davídsson war noch nie in diesem Raum gewesen, aber sie sahen ohnehin alle gleich aus. Es gab nur einen Tisch mit Holzfurnier in der Mitte, zwei Stühle, ein vergittertes

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