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Mordlast

Mordlast

Titel: Mordlast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Guzewicz
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bestand normalerweise aus Sitzen – er saß die Zeit ab, sein Leben.
    Engbers nickte.
    »Sie hat nicht viel gesagt.«
    »Vielleicht weiß sie wirklich nicht mehr.«
    »Pah.« Engbers schnellte von seinem Platz hoch. »Sie ist ein berechnendes Miststück. Die weiß viel mehr, als sie jemals zugeben wird. Wenn sie die Täterin war, werden wir noch lange Spaß damit haben.«
    »Glaubst du das? Dass sie Bernd Propstmeyer umgebracht hat?« Davídsson wollte sitzen bleiben, aber Engbers war zur Tür gegangen. Die Klinke hatte er bereits gedrückt. Engbers wollte den Raum offenbar so schnell wie möglich verlassen.
    »Sie hatte ein Motiv«, antwortete Engbers auf Davídssons Frage.
    Die Aufzugstüren waren gerade zur Seite geglitten und zwei Uniformierte, die einen Zivilisten in Handschellen begleiteten, wollten aus der Kabine treten. Davídsson hatte bei dem Mann in Handschellen ein leichtes Zucken wahrgenommen, als Engbers ›Motiv‹ sagte.
    »Du meinst, weil er sie sein Leben lang verfolgt hat?«
    »Ihr Leben lang. Es war ihr Leben, das er verfolgt hat.«
    »Wenn das stimmt. Ich habe noch nie von Stalking bei Minderjährigen gehört.« Davídsson überlegte kurz, bevor er sich präziser ausdrückte: »Doch schon, aber das waren dann Pädophile oder Päderasten, die von ihren Opfern abgelassen haben, sobald sie ein gewisses Alter erreicht haben.«
    »Die Frage ist also: Was sollte einen Jungen veranlassen, einem Kind zu folgen, bis aus dem Kind eine erwachsene Frau wird?«
    Davídsson nickte, er hatte sich gerade im Geist die gleiche Frage gestellt.
    »Wir müssen diese zweite Wohnung finden. Aber das müssen die Grünen für uns erledigen.«
     
    Er überlegte. Davídsson dachte an Evelyn Schrauder und den Ausdruck in ihren Augen. Er sah ihn immer wieder. Er änderte sich nie, hatte sich nie geändert.
    Waren das die Augen einer Mörderin? Was empfand sie, wenn sie an Bernd Propstmeyer dachte? Was dachte er bei diesem Namen?
    Davídsson war zum Büro gefahren und hatte dort versucht, seine Gedanken zu ordnen. In diesem Fall gab es viele Informationen. Das konnte gut für ihn sein, aber auch schlecht. Man konnte leicht den Überblick verlieren. Alleine die Verknüpfungen in ViCLAS waren so dicht, dass sie langsam unübersichtlich wurden.
    Der Informationskollaps droht, dachte er, als er in seinen Saab 9-3 stieg. Er drehte den Zündschlüssel um, und die gedimmte Uhr erinnerte ihn an das verpasste Training mit Marian Zajícek. Er hatte das Training vergessen, total vergessen, aber es war ja zum Glück nur ein Training. Es war nur ein kurzer Gedanke an das Curling, dann wurde er wieder durch die Fragen, die der Fall aufwarf, überlagert.
    Er wusste, dass es ihm auch zu Hause nicht gelingen würde, abzuschalten, aber die Lichter auf dem Büroflur waren bis auf die Notausgangbeleuchtung erloschen und fast alle Kollegen waren schon gegangen. Er war oft der Letzte, der das Gebäude verließ. Er genoss dann die Ruhe, die dort herrschte, wenn er seine eigenen Schritte auf dem Flur widerhallen hörte und nur noch ein leises Surren der Computer diese Ruhe störte.
    Das Neonlicht glitt stumm in regelmäßigen Abständen über sein Gesicht. Er dachte für einen Augenblick an seine Fahrt nach Ostende letztes Frühjahr. In Belgien waren sogar die Autobahnen mit diesem kalten länglichen Licht beleuchtet.
    Davídsson wechselte die Straße, die jetzt an der Spree entlangführte. Links sah er schemenhaft die Hafenkräne aus dem Wasser ragen, die wie Gestalten aus einer anderen Welt wirkten, leblos und ungelenkig. Er bewegte sich auf einer schwarzen geschwungenen Linie an dieser Welt vorbei, die jetzt von einem bunten Stück Grenzmauer verdeckt wurde, die völlig im Dunkeln lag. Auf diesem Stück gab es keine Straßenbeleuchtung. Nur das Night Panel verbreitete ein dünnes, rötliches Licht, das das Wageninnere sanft und behaglich wirken ließ.
    Wieder eine andere Welt, dachte Davídsson. In Berlin wechseln die Welten am schnellsten: Reiche und Arme, protzige Villen – hässliche Hochhäuser, Eleganz und Geschmacklosigkeit. Und mitten drin wir, die einen Mord aufklären wollen, der scheinbar aus wieder einer anderen Welt stammt. Einer Welt, die zum Glück längst vergangen.
    Seine Augen brannten, die Müdigkeit kam plötzlich in der wohligen Wärme und dem angenehmen Licht. Er hatte das starke Bedürfnis, seine Augen zu reiben wie ein kleines Kind.
    Und dann krachte es.
    Er sah ein kurzes Aufblitzen und dann drehte sich alles. Er

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