Mordlast
Fenster und kahle Wände.
Die Anwesenden sollten durch nichts abgelenkt werden und sich nur auf die Fragen konzentrieren, die sie stellten oder die ihnen gestellt wurden.
Die Tür hatte gesummt, als Engbers sie geöffnet hatte, und Evelyn Schrauder hatte ihren Rucksack auf den Tisch geworfen und sich gleich auf den richtigen Platz gesetzt.
Vielleicht ist es ja nicht ihr erstes Verhör, hatte Ólafur Davídsson gedacht. Er stellte sich neben das Fenster, das so hoch angebracht war, dass man nicht nach draußen sehen konnte. Engbers setzte sich ihr gegenüber. Er sah angespannt aus. Er zählte die Anwesenden auf, sagte das Datum und die Uhrzeit für das digitale Aufnahmegerät und lehnte sich dann entspannter zurück.
»Wann haben Sie Bernd Propstmeyer zum letzten Mal lebend gesehen?«
»Das habe ich Ihnen schon einmal gesagt.«
»Sagen Sie es mir noch einmal.«
»Nein. Ich werde mich nicht wiederholen.«
»SAGEN SIE MIR, WANN SIE BERND PROPSTMEYER ZUM LETZTEN MAL GESEHEN HABEN«, brüllte Engbers.
Sie schwieg. War das Provokation oder Blödheit?
»Also?« Engbers Stimme wurde wieder ruhiger.
»Wir waren zusammen in der Berliner Philharmonie, am Sonntag.« Ihre Stimme klang teilnahmslos.
»Sie wissen, dass das eine Lüge ist.«
»Weil es im Großen Saal gebrannt hat?« Plötzlich flackerten ihre Augen auf.
»Ja.«
»Wir waren im Kammermusiksaal. ›Pianist in Residence‹ wurde im Kammermusiksaal aufgeführt.«
»Das Konzert ist abgesagt worden.«
»Nein. Die im Kammermusiksaal nicht.«
Engbers versuchte, seine Verunsicherung zu verbergen.
Sie lächelte überheblich.
»Sprechen wir über Bernd Propstmeyer.«
»Wollen Sie das mit dem Kammermusiksaal nicht nachprüfen?«
»Wo hat Bernd Propstmeyer gewohnt?«
»Das wissen Sie nicht?«
»Wir wollen es von Ihnen wissen.«
»Sie sind doch von der Polizei. Finden Sie es heraus.«
»Wo?«
»Ceciliengärten.«
Engbers sah sie jetzt mit steinernem Blick an. Sie würde keine weitere Gefühlsregung von ihm erkennen können.
»Und wo noch?«
»Was?«
»Sie haben meine Frage verstanden.«
»Ich weiß nicht, was Sie meinen …«
»Wo hat Bernd Propstmeyer außerdem noch gewohnt?«
Sie sah jetzt verunsichert aus.
»Wir wissen, dass es nur seine Zweitwohnung war.«
»Nein.«
»Was nein?«
»Es war seine Wohnung.«
»Ja, aber er hatte noch eine andere Wohnung. Wo hat er noch gewohnt?«
»Bei mir.«
Er wartete. Sie würde mehr sagen. Mehr als diese zwei Worte.
»Charlottenburg«, sagte sie schließlich.
»Jetzt kommen wir der Sache näher. Wo da?«
Ihr Blick wanderte zu der Tür, hinter der sich die Freiheit befand, als suche sie dahinter eine Antwort.
Was war das für eine seltsame Beziehung zwischen diesen beiden Menschen?, fragte sich Davídsson, der es beobachtet hatte.
»Ich weiß es nicht.«
»Wo da?«, wiederholte Engbers, als hätte er nichts gehört.
»Ich war nie dort.«
»Aber Sie kennen die Adresse.«
»Nein. Ich habe mir nur so etwas gedacht.«
»Warum?«
»Er hatte immer andere Sachen an, aber sein Kleiderschrank war leer.« Das ist eine ziemlich präzise Aussage für diese Frau, dachte Ólafur Davídsson.
»Und woher wissen Sie, dass es in Charlottenburg war?«
»Er kannte sich da gut aus.«
»Und?«
»Er hat … Ich habe ihn mal dort abgeholt.«
»Vor einem Haus?«
»An der U-Bahn-Haltestelle Wilmersdorfer Straße.«
»Und Sie haben ihn nie danach gefragt?«
»Doch schon …« Sie hob den Blick. »Er hat aber nicht direkt darauf geantwortet.«
»Was hat er gesagt?«
»Er würde da arbeiten.«
»Und was hat er gearbeitet?«
»Das wissen Sie doch.« Sie drehte den Kopf Richtung Ólafur Davídsson, als würde er ihr vielleicht mehr glauben. »Mehr weiß ich wirklich nicht.«
»Dann erzählen Sie uns etwas über Bernd Propstmeyer.«
Sie sah jetzt wieder zu Engbers.
»Er war nett, hilfsbereit und er liebte Kunst.«
»Wie haben Sie sich kennengelernt?«
Sie tat sich schwer mit einer Antwort. Engbers sah es ihren Augen an, aber dieses Mal gab es für sie kein Zurück mehr. Er lehnte sich zu ihr vor und wartete.
»Wir kennen uns schon sehr lange«, sagte sie schließlich, als würde das alles erklären.
»Wie lange?«
»Seit der Schule.«
»Aha.«
»Wir waren auf derselben Schule in unterschiedlichen Stufen. Er hatte damals etwas von mir … gewollt.«
»Sie sind miteinander gegangen, wie man als Jugendlicher so schön sagt.«
»Er wollte …«
»Aber Sie nicht?«
»Ich war erst zwölf.«
»Und
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