Mordlicht
rechts davon sind die Betonpfeiler. Am rechten
wurde Reiche erschlagen. Wir wissen, dass der Täter ihn mehrfach mit der Hand
gegen die Mauer gestoßen hat. Dabei ist er einmal abgerutscht und musste sich
mit der linken Hand an der Glasscheibe der Tür abstützen. Es ist logisch, dass
er das mit links tat, weil er rechts mit Reiches Kopf beschäftigt war.«
»Und woher willst du
wissen, dass er mit der linken Hand die Glasscheibe berührte und die
verwischten Abdrücke hinterließ?«
»Wenn du vor der Tür
stehst, lagen vier Fingerabdrücke auf fast gleicher Höhe, während sich der
fünfte etwas tiefer fand. Sieh dir deine Hand an. Der Daumen sitzt ein Stück
unterhalb der anderen Finger. Wenn der tiefere Abdruck nun auf der rechten
Seite liegt, muss es die linke Hand gewesen sein.«
Große Jäger
schüttelte den Kopf. »Das ist wie beim alten Kinderreim. Links ist dort, wo der
Daumen rechts ist.«
»Wie gut, dass du
etwas aus Kindheitstagen mitgenommen hast.«
Der Oberkommissar
warf Christoph einen Seitenblick zu. »Deine Überlegungen klingen plausibel.
Wenn du so weitermachst, könnte aus dir irgendwann noch einmal ein Kriminalist
werden.« Dann betätigte er zornig die Hupe. »Wenn diese verdammten Idioten da
draußen genauso über links und rechts Bescheid wüssten wie du, wäre das
Autofahren fast ein Vergnügen.«
Christoph unterließ
es zu antworten und war froh, dass Große Jäger auf der Rückfahrt seine Monologe
nur noch eingeschränkt fortsetzte.
*
Während der Rückfahrt standen nur noch vereinzelt ein
paar Zirruswolken am Himmel. Die lange Dämmerung hatte inzwischen eingesetzt,
und als sie das Büro betraten, hatte Mommsen bereits die Beleuchtung
eingeschaltet.
Ihren Bericht aus Nordhastedt konnte Mommsen ergänzen.
»Es wird euch bestimmt nicht überraschen, wenn ich
erzähle, dass auch Mitrolitis kein Großverdiener ist. Auch ihm geht es
schlecht. Allerdings hat er in der letzten Woche sein Auto verkauft. Ein
Landrover Freelander mit Zughaken, damit er seinen Imbiss durch die
Lande ziehen konnte. Er hat nämlich nicht nur vor dem Verbrauchermarkt in Heide
gestanden, sondern ist auch an den Wochenenden von Schützenfest zu Schützenfest
gezogen.«
»Und weshalb verkauft der plötzlich sein Auto?«,
fragte Christoph. »Wenn er wirtschaftlich nicht auf Rosen gebettet war, so wäre
es doch logisch, wenn er den Wagen behalten würde. Ohne Zugfahrzeug hat er noch
weniger Möglichkeiten, Geld zu verdienen. Und das scheint er nötig zu haben.
Darauf sollten wir noch einen Gedanken verschwenden. Doch zuvor muss ich
telefonieren.«
Er griff zum Hörer und wählte die Nummer der Praxis
von Dr. Hinrichsen. Dann vernahm er die vertraute Stimme Anna Bergmanns.
»Hallo«, meldete er sich, ohne seinen Namen zu nennen.
»Hallo«, gab sie zurück. Es klang unterkühlt, beinahe
abweisend.
»Ist irgendetwas?«
Sie schwieg einen Augenblick, bevor sie antwortete.
»Wie war es in Kiel? Hattest du ein schönes Wochenende?«
»Was soll das? Bist du eifersüchtig?«
Erneut entstand eine Pause. »Quatsch! Warum sollte
ich?«
»Wollen wir uns heute Abend treffen? Bei dir?«
»Nein«, wehrte sie ab. »Wir haben viel zu tun. Es wird
später bei mir. Danach möchte ich gern meine Ruhe haben.«
»Wir hatten gerade Wochenende.«
»Und du bist ausgeruht? Trotz Kiel?«
Er sah ein, dass es nichts bringen würde,
weiterzureden. »Ich glaube, wir sollten morgen noch einmal miteinander
telefonieren.«
Sie sagte nur »Tschüss« und legte auf.
Große Jäger hielt einen Kugelschreiber in die Höhe.
»Wem is er zu?«
Christoph sah auf, zuckte die Schultern und fragte: »Äh?«
Jetzt grinste Mommsen im Hintergrund. »Er spricht
Westfälisch mit uns. Wir würden fragen: Wem sein is das?«
Auch Christoph lachte, wies mit der Hand auf sich und
sagte zu Große Jäger: »Aha. Mein sein.«
Der warf den Kugelschreiber quer durch den Raum. »Tust
du dafür ein aus?«
»Was heißt das nun wieder?«
»Schmeißt du ‘ne Runde?«
»Willst du am Kiosk in der Bahnhofshalle ploppen?«
»Eigentlich hatte ich gedacht, du lädst Mommsen und
mich zu Judith ein.«
Christoph nickte. »Von mir aus.«
Dann begann er mit Mommsen die Schreibtische
einzuräumen. Große Jäger schaute ihnen gelassen zu. Er hatte das Chaos an
seinem Arbeitsplatz seit Jahren nicht mehr sortiert und sah auch keine
Veranlassung, zum Dienstschluss etwas wegzuräumen.
Sie verließen das Dienstgebäude und gingen das kurze
Stück zum »Zingel« zu Fuß.
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