Mordlicht
verließ in Albersdorf die Autobahn, um bald
darauf an die Grünentaler Hochbrücke zu gelangen.
Die alte, kombinierte Brücke, die Eisenbahn und Autos
einträchtig auf der gleichen Spur nutzten, hatte man durch eine Kastenbrücke
mit grauen V-Stahlstreben ersetzt, über die eingleisig neben den beiden
Fahrbahnen die fröhlich-bunten Züge der Schleswig-Holstein-Bahn rollten.
Deshalb gab es nur einen Fußweg auf der westlichen Seite.
Vor der Brücke lag ein kleiner Parkplatz, der aber
weiter von der Mitte der Kanalüberquerung entfernt war als der, den Christoph
hinter der Brücke fand. Direkt am Ende des Übergangs zweigte der Rastplatz ab.
Christoph hielt an und stieg aus. Die ganze Anlage war
unbeleuchtet. Er folgte dem Fußweg bis zur Brückenmitte und sah in die Tiefe,
auf das blaugraue Band des Nord-Ostsee-Kanals, der international Kielkanal
genannt wurde.
Unten, in der Tiefe, führte am bewachsenen Ufer ein
Sandwanderweg entlang. Etwas oberhalb lag ein Ehrenmal. Selbst wenn dort abends
gegen zweiundzwanzig Uhr Spaziergänger unterwegs gewesen wären, hätten sie in
der Dunkelheit nichts von Reiches Aktion mitbekommen.
Über die Brücke rollten nur noch wenige Autos. Der
überregionale Verkehr nahm die Autobahn, und zwischen Hanerau-Hademarschen im
Süden und Albersdorf im Norden, die immerhin zehn Kilometer auseinander
lagen, gab es nur sehr vereinzelt einsame Wohnhäuser, geschweige denn
Ortschaften. Somit war nicht davon auszugehen, dass Reiche beobachtet worden
war. Selbst wenn diese Stelle nicht planmäßig, sondern intuitiv aufgesucht
wurde, hätte der Mörder keine bessere für die Entsorgung der Leiche finden
können. Wie Christoph es nicht anders erwartet hatte, waren heute keine
verwertbaren Spuren mehr zu erkennen, zumindest nicht mit bloßem Auge. Er würde
Jürgensen anrufen und es dem Kriminaltechniker überlassen, ob der es für ratsam
hielt, die Brücke noch einmal von seinen Experten absuchen zu lassen.
Christoph setzte sich ins Auto und fuhr langsam
zurück.
In welcher Stimmung war Reiche gewesen, nachdem er
sich seines Opfers entledigt hatte? War er verschmutzt? Mit Blut beschmiert?
Hatte er Angst? Panik?
Am Fuß der Brückenauffahrt befand sich ein Gasthof.
Christoph hielt an und befragte den Wirt, ob er am vergangenen Mittwoch etwas
Auffälliges wahrgenommen hätte. Er zeigte auch Reiches Bild. Aber der Mann
zuckte nur desinteressiert mit den Schultern und sagte, er habe weder etwas
gesehen, noch würde er den Mann auf dem Foto wiedererkennen.
Ähnliche Auskünfte erhielt er in den Gaststätten und
Imbissstuben in Albersdorf, das er bei seiner Rückfahrt durchquerte. Niemand
hatte Reiche oder den dunkelgrünen, älteren Audi A4 gesehen. Es wäre auch ein
zu glücklicher Umstand gewesen. Christoph erschien es sinnlos, weiter zu suchen,
zumal nicht einmal sicher war, ob Reiche für die Rückfahrt den Weg über
Albersdorf gewählt hatte.
Christoph hatte den Ort schon fast verlassen, als er
auf der rechten Seite im Hintergrund die Schleswig-Holstein-Flagge sah, die
sich heftig im Wind bewegte. Ein großes Schild am Straßenrand verkündete, dass
das Soldatenheim auch für Besucher offen stand. Diesen letzten Versuch wollte
Christoph noch wagen.
Am verschlossenen Eingang fand sich ein Hinweis, dass
die Einrichtung erst nach Dienstschluss geöffnet hatte. An der Seite des
Gebäudes hörte Christoph jedoch, wie jemand mit leeren Bierfässern und
Getränkekisten hantierte. Er umrundete den Bau und traf auf einen stämmigen
Bartträger. Der Mann blickte auf, als Christoph sich näherte.
»Moin. Ich habe eine Frage.« Christoph hielt dem Mann
Reiches Bild hin. »Kennen Sie den?«
Der Bärtige kniff ein wenig die Augen zusammen, sodass
die Falten noch ausgeprägter zu sehen waren.
»Nein«, antwortete er, zögerte dann aber einen Moment.
»Darf ich?« Er griff zum Foto, drehte es ein paarmal hin und her, kniff erneut
die Augen zusammen und meinte dann: »So ganz sicher bin ich mir nicht. Es
könnte sein, dass er vor kurzem hier war.«
»Wann war das?«
Der Mann holte tief Luft. »Das weiß ich beim besten
Willen nicht mehr. Oder doch? Ja. Gestern vor einer Woche. Letzten Mittwoch.
Das muss der … warten Sie.«
»Mittwoch, der 19. Oktober«, half Christoph.
»Genau. Stimmt. Wir hatten eine geschlossene
Veranstaltung. Ein paar Beförderungen. Dann schließen wir für den allgemeinen
Publikumsverkehr. Es war schon später. Abends. So gegen halb elf. Unsere Jungs
hatten schon mächtig
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