Mordlicht
dürfte der Mord in Leck geklärt sein. Täter und
Opfer sind identifiziert.«
»Nicht ganz, Klaus. Uns fehlen noch Motiv und der Name
des Opfers.«
Jürgensen nieste. »Da teilen wir uns die Arbeit«,
machte er dann einen Vorschlag. Christoph konnte sich vorstellen, mit welch
schelmischem Gesichtsausdruck der kleine Hauptkommissar jetzt in Flensburg saß.
»Du kümmerst dich um das Motiv. Ich sage dir, wie der Tote heißt.«
»Das wisst ihr?«
»Klar. Wir sind ja eine gut organisierte Polizei in
Flensburg. Würde Dr. Starke jetzt behaupten.«
»Ich erspare mir den Kommentar, den Wilderich dazu
abgeben würde.«
»Das ist auch besser so. Wir wollen bei unserer Arbeit
jugendfrei bleiben. Der Tote ist achtunddreißig, heißt Pjotr Schewtschenko und
kommt aus Witebsk.«
»Das klingt russisch.«
»Fast. Das liegt im Nordosten Weißrusslands, nahe der
Grenze zu Russland.«
»Wisst ihr noch mehr über den Mann? Vorstrafen?
Vorgeschichte?«
»Das LKA hat Informationen aus Minsk angefordert. Das Verhältnis zu Weißrussland ist
bezüglich der polizeilichen Zusammenarbeit eher schwierig. Sobald ich etwas
erfahre, melde ich mich bei dir. Ich habe aber noch eine Nachricht für dich.
Reiche hatte ein Handy in seinem Auto liegen. Kurz vor seiner Ermordung wurde
er zweimal angerufen. Das erste Mal gegen Viertel nach zehn, das zweite Mal
kurz vor Mitternacht.«
»Sicher kannst du mir auch sagen, wer die Anrufer waren?«
Jürgensen hüstelte. Diesmal klang es aber künstlich.
»Ja, aber es bringt euch nicht weiter. Es war ein Prepaid-Handy, erworben von
einer Petra Diedrichs aus Büttjebüll. Für ihren elfjährigen Sohn Pepe. Der
Kleine hat es entweder verloren, oder es ist ihm in der Schule gestohlen
worden. Und da das Gerät ein abgelegtes der Mutter war und das Kartenguthaben
unter fünf Euro betrug, hat die Frau es abgeschrieben, ohne es dem Provider
oder sonst wem zu melden.«
»Solche Geräte tauchen dann auf dem Flohmarkt oder
sonst wo auf. Die Spur ist tot.«
»Stimmt. Und noch etwas. Von der Mordkommission weiß
ich, dass ein Nachbar Reiches in Leck glaubt, ein Fremder hätte sich am
fraglichen Abend in der Nähe der Wohnung herumgetrieben. So gegen zehn, meint
der Mann.«
Nachdem Jürgensen sich verabschiedet hatte,
diskutierte Christoph die neuen Erkenntnisse mit Mommsen.
»Mangels Fakten bleibt uns nur die Phantasie. Vom
toten Weißrussen ist uns bekannt, dass er häufig mit einem Kumpel aufgetreten
ist. Wenn sich der nun in Leck umgesehen hat, weil Schewtschenko nicht wieder
auftauchte und vielleicht sogar in Reiches Wohnung eingedrungen ist, könnte er
erkannt haben, was dort geschehen ist. Daraufhin hat der Unbekannte Reiche
angerufen. Das war Viertel nach zehn. Reiche muss zu diesem Zeitpunkt
herumgeirrt sein. In seine Wohnung traute er sich wohl nicht zurück. Der Anruf
hat seine Panik noch verstärkt. Das Resultat kennen wir. Mit dem zweiten Anruf
hat der Unbekannte Reiche noch nach Husum gelockt. Dort kam es dann zur Auseinandersetzung
vor dem Palmengarten, in deren Verlauf Reiche selbst ermordet wurde.«
Mommsen stimmte Christophs Gedanken zu, nicht ohne
aber anzumerken: »Das klingt logisch, aber es bleiben Vermutungen.«
Der Rest des Nachmittags verlief ereignislos und bot
den beiden Beamten Gelegenheit, liegen gebliebene administrative Tätigkeiten
nachzuholen, vor denen sich Große Jäger – wieder einmal – erfolgreich gedrückt
hatte.
*
Der Penner hatte seit dem späten Nachmittag
verschiedene Kneipen im Stadtgebiet aufgesucht, dabei jeweils am Tresen
gestanden und sich wortkarg gegeben.
»Bist wohl was Besseres«, hatte ihn ein Kneipengänger
gefragt, aber der Mann in der abgerissenen Kleidung hatte nur gebrummt: »Lass
mich. Hab ‘nen guten Grund. Hab endlich meine Nachzahlung von der Stütze
gekriegt.« Dann hatte er sich wieder dem stillen Trinken zugewandt. Jetzt saß
er auf den Stufen am Tinebrunnen mitten auf dem Marktplatz, sah dem um diese
Zeit nur noch spärlichen Treiben zu und öffnete mit dem Daumen ein neues Bier.
Mit einem satten »Plopp« flog der Bügel mit dem Keramikverschluss vom
Flaschenhals. In aller Ruhe trank er schluckweise, rauchte dabei zwei
Zigaretten und stellte die leere Flasche vor den linken Fuß der mit grüner
Patina überzogenen Fischerfrau.
Mit einem leichten Stöhnen erhob sich der Mann in
seiner schmuddeligen Kleidung, fasste sich dabei ins Kreuz, gab noch einen
ächzenden Laut von sich und ging mit unsicheren Schritten quer über
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