Mordloch
herausgefunden.
»Die Sache nimmt Gestalt an«, meinte Häberle mit vornehmer Zurückhaltung. Sie hatten sich wieder im Lehrsaal des Polizeireviers versammelt. »Wenn da nicht wieder die Liebe zugeschlagen hat ...«, sinnierte er und lehnte sich zurück. Es wäre nicht das erste Mal in seiner Laufbahn, dass man zunächst schreckliche Verwicklungen vermutet hatte – und letztlich eine Liebesaffäre dahinter steckte. Nur allzu gut war ihm der Mordanschlag auf einen rechtsgerichteten Politiker in Erinnerung, als man landauf, landab ein politisches Motiv vermutet hatte. Dann aber war’s die eigene Ehefrau gewesen, die ihn mit Hilfe einer Freundin aus dem Weg hatte räumen wollen. Geklappt hatte es nicht, doch der Mann saß seither im Rollstuhl. Häberle war sich damals schon ziemlich schnell sicher gewesen, dass man es mit einer Beziehungstat zu tun haben würde.
Und nun deutete wieder alles auf ein solches Motiv hin.
»Der feine Herr Westerhoff«, kommentierte er schließlich, »seriös bis zu den Haarspitzen – und dann schleicht er sich nachts um fremde Häuser. Da muss ihm schon einiges einfallen, um uns das plausibel zu machen.«
»Dass er ein Techtelmechtel mit der Flemming hatte, wissen wir ja schon vom Hellbeiner. Jetzt können wir ihn ja mal direkt fragen. Geh’n wir hin?« fragte Linkohr voll Tatendrang.
»Wenn uns die Sekretärin durchlässt«, grinste der Kommissar, »aber wir können ja diplomatisch anmerken, es sei dem Herrn Westerhoff vielleicht lieber, wenn wir ihn in seinem Büro aufsuchen, als heute Abend daheim – im Beisein seiner verehrten Gattin.«
»Ich meld’ uns an«, versprach Linkohr, wohl wissend, dass es nicht einfach werden würde.
Während der junge Kriminalist den Lehrsaal verließ, besprach Häberle mit Schmidt das weitere Vorgehen. Die Spurensicherung, so entschied der Chefermittler, solle in das Flemming-Haus eindringen und sich dort umsehen.
Schmidt versprach, dies zu veranlassen und suchte auf dem Tisch nach einem Notizzettel. »Da ist noch etwas«, begann er, »die Kollegen vom Streifendienst haben heut’ schon einen Bahnunfall aufgenommen.«
»Einen Bahnunfall?« wiederholte Häberle ungläubig.
»Ja, mit dieser Tälesbahn, mit dieser Interessengemeinschaft«, fuhr Schmidt fort und zwirbelte mit der linken Hand wieder seinen Schnurrbart, »ein Lastwagen hat den Schienenbagger gerammt – oder umgekehrt. Es hat Blechschaden gegeben, keine Verletzten.«
Der Kommissar stutzte. »Mit diesem blauen Bagger?« fragte er zweifelnd.
»Ob er blau ist, weiß ich nicht. Aber am Steuer saß dieser Metzger, dieser Hobbyeisenbahner. Er hat wohl gegen irgendwelche Bestimmungen verstoßen, weil er beim Überqueren der Straße keinen Einweiser aufgestellt hat. Aber das braucht uns nicht zu interessieren«, erklärte Schmidt, »von Interesse ist hingegen, wer den Lastwagen gesteuert hat.«
Häberle sah seinen Kollegen regungslos an. Er ahnte, dass er ihm eine Überraschung parat hielt.
Schmidt genoss die Spannung, sagte dann aber: »Am Steuer saß Kruschke – sein Eisenbahnfreund Kruschke.«
Die Sekretärin war säuerlich gewesen, denn der minutiöse Terminplan ihres Chefs kam nun erheblich durcheinander. Doch Westerhoff wollte es nicht anders. Eigentlich hatte sie den Kriminalisten am Telefon gar nicht durchstellen wollen. Aber nachdem es offenbar um eine höchst private Sache ging, blieb ihr nichts anderes übrig.
Danach war ihr Chef einigermaßen verändert gewesen. Er sagte die meisten Termine für den Rest des Nachmittags ab.
Und nun saß der schmächtige Mann mit dem feinen Nadelstreifenanzug den beiden Kriminalisten auf der Ledercouch gegenüber.
»Sie strapazieren meinen Terminplan«, versuchte er energisch zu wirken. Doch es klang gekünstelt, denn er schwitzte und spielte nervös mit einem teuren Kugelschreiber.
Häberle machte sich’s gemütlich, lehnte sich ins Polster und behielt sein Gegenüber im Auge. »Es mag Ihnen unangenehm sein«, begann er und sah, wie Westerhoff seinen Kugelschreiber noch schneller drehte, »aber wir wissen, dass Sie gestern Abend um das Haus von Flemmings geschlichen sind.« Häberle machte eine kurze Pause. »Und wir wissen, dass Sie heute beim Polizeirevier angerufen haben und sich um Frau Flemming gesorgt haben.« Der Kommissar zögerte. »Das reimt sich uns nicht so richtig zusammen, Herr Westerhoff. Und wir hätten gerne gewusst, welche Absicht dahinter steckt.«
Der Angesprochene holte tief Luft und lächelte gequält.
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