Mordloch
sah ein Waschbecken, auf dem bunte Handtücher und Plastikflaschen mit Shampoo und Duschgel lagen.
»Das Handtuch ist noch nass«, stellte einer der SEK-Beamten fest.
Bruhn wandte sich sofort an Özgül: »Was hat das zu bedeuten?«
Der Geschäftsmann zuckte verlegen mit den Achseln. »Ich weiß es nicht«, sagte er überheblich, »hab’ doch gesagt, dass den Schlüssel hierher meine Angestellten haben.«
Bruhn wurde deutlich: »Wenn Sie uns weiterhin zum Narren halten, sitzen Sie heute Abend im Knast.«
Der Anwalt ging dazwischen: »Ich muss doch um etwas mehr Sachlichkeit bitten.«
»Ich war selten so sachlich, wie jetzt«, bellte Bruhn und seine Stimme brach sich tausendfach an den kahlen Wänden.
Der Zug fauchte jetzt in einem Rechtsbogen an Waldhausen entlang – über eine weite Hochfläche hinweg. Durch die linken Fenster erkannte Häberle mehrere Windkrafträder, die ihre Flügelspitzen gemächlich nacheinander in den Himmel reckten und dabei in dieser Landschaft wie Fremdkörper wirkten.
Die beiden Kriminalisten hatten wieder keinen Sitzplatz gefunden, dafür aber war es in dem ratternden Wagen jetzt etwas luftiger und ruhiger geworden.
Linkohr lehnte sich gegen die Abteiltür, die zur Plattform führte. »Wenn der Schlüssel zu unserem Fall tatsächlich hier oben liegt, sind einige Herrschaften jetzt sicher ziemlich nervös«, meinte er.
Sein Chef lächelte. »Den Eindruck hab’ ich auch. Und glauben Sie mir, Kollege, einer dieser Herrschaften hat den Flemming auf dem Gewissen – wahrscheinlich zusammen mit diesem Musiker.«
Linkohr blickte rechts zu einer Autokolonne hinaus, die auf der parallel führenden Straße neben dem Zug herfuhr. Aus den Seitenfenstern waren Videokameras in Anschlag gebracht. »Das sieht aus, als wollten sie uns abschießen«, meinte er und deutete zu den Fahrzeugen hinüber, um dann das Thema wieder aufzugreifen: »Und wenn es die Frau Flemming war, die ihren Gemahl umgebracht hat?«
Der Kommissar schüttelte den Kopf. »Ich glaub’ kaum, dass sie ihn ins Mordloch hätte zerren können.«
»Was glauben Sie dann, Chef?« Linkohr ahnte, dass sich Häberle bereits etwas zusammengereimt hatte. Er kannte den schlauen und stillen Kombinierer jetzt schon lange genug, um auf alles gefasst zu sein. »Auf wen tippen Sie?«
Der Kommissar grinste. »Abwarten.« Der Zug fauchte und ratterte auf Gussenstadt zu. Am Ortseingang überquerte er die Straße und erreichte die ersten Häuser.
Linkohr überlegte. »Für mich spielt zunehmend dieser Westerhoff eine äußerst dubiose Rolle. Er hat den Flemming umgebracht und den Weg für die Liebschaft endgültig frei gemacht«, meinte er. »Ganz klar, dieser Musiker hatte auch Interesse, diesen Kerl loszuwerden – denn möglicherweise steckt hinter dem angeblichen Streit übers Honorar etwas ganz anderes. Ich stell’ mir sowieso die Frage, woher dieser Pohl die hunderttausend nimmt für die Kaution.«
Draußen auf dem Bahnsteig stand nur ein halbes Dutzend Personen. Das letzte Teilstück bis Gerstetten war wohl zu kurz, um für Touristen attraktiv zu sein. Häberle erspähte jedoch wieder ein bekanntes Gesicht.
Sein Kollege fuhr mit seinen Überlegungen fort: »Und nun hat die Flemming die Fliege gemacht. Oder die Jungs, die nachts in ihr Haus gekommen sind, haben sie – wie auch immer – gekidnappt. Eines steht aber fest: Die Einbrecher hatten einen Schlüssel, an den sie irgendwie gekommen sein müssen.«
Häberle nickte. »Bei ihrem toten Gatten haben wir keinen Schlüsselbund gefunden – also lässt das Ganze auch noch einen anderen Schluss zu.« Er machte eine Pause. »Der Täter ist gekommen, hat sie gekidnappt – zumindest aber das Haus durchsucht und gründlich Spuren beseitigt.«
»Gekidnappt mit ihrem Auto?« fragte Linkohr zweifelnd.
Der Kommissar sagte nichts, denn inzwischen hatte der Zug angehalten. Mit dem Mann, der an die Wand des Bahnhofs lehnte und offenbar interessiert die Dampflok betrachtete, hatte Häberle hier nicht gerechnet. Zumindest nicht sonntags zur Mittagszeit.
Häberle stieß seinen gerade ziemlich redseligen Kollegen Linkohr an und deutete auf den Bahnsteig hinaus, wo Rauchschwaden vorbeizogen.
»Was macht denn der da?«
»Fragen wir ihn«, entschied der Kommissar und öffnete die Tür zur Plattform, wo er mit zwei, drei Sätzen auf den Bahnsteig kletterte, gefolgt von einem höchst erstaunten Linkohr. Lang würde der Zug hier nicht halten, vermutete er. Doch solange der Schaffner
Weitere Kostenlose Bücher