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Mordloch

Mordloch

Titel: Mordloch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Bomm
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blickten erwartungsfroh nach draußen. Auf den Plattformen, die den luftigen Übergang von einem Wagen zum anderen ermöglichten, drängten sich Menschen. Wieder summten Videokameras, klickten Fotoapparate. Passagiere kletterten über die steilen Eisentritte ins Freie, mindestens genau so viele stiegen ein.
    Florian Metzger war zu den beiden Lokführern geeilt und beobachtete mit ihnen den ungewöhnlich starken Andrang. In Kruschkes Gesicht hatten sich Schweiß und Ruß zu einer schwarz glänzenden Schicht vermischt. Er zwängte sich mit dem gesamten Oberkörper aus dem Seitenfenster und signalisierte dem jungen Schaffner mit nach oben gerichtetem Daumen, wie erfolgreich der heutige Tag sein würde. »Spitzenmäßig«, rief ihm Florian zum Führerstand herauf. Er hatte dabei Mühe, das Zischen der Dampfmaschine zu übertönen.
    Kruschke war begeistert. Es hatte sich gelohnt, den Lokführerschein zu machen, auch wenn es eine wochenlange Büffelei gewesen war. »Wir müssen unser Projekt durchziehen«, rief er zurück und löste damit im Gesicht des Schaffners ein freudiges Lächeln aus. Auch der reckte jetzt den Daumen als Erfolgszeichen nach oben. »Wir sind auf dem richtigen Weg«, bestätigte er.
    Kruschke schien sich noch weiter hinausbeugen zu wollen, doch hielt die Enge der Fensteröffnung seinen voluminösen Oberkörper gefangen. »In einem müssen wir uns einig sein«, sagte er mit gedämpfter Stimme, aber noch so laut, dass ihn sein Vereinskamerad auf dem Bahnsteig verstehen konnte: »Wir dürfen uns durch nichts und von niemandem abhalten lassen. Schau dich um.« Kruschke strahlte voller Optimismus. »Wir werden die größten Dampfzugfahrer aller Zeiten.«
    Florian beobachtete das Ein- und Aussteigen der Passagiere und sah dann wieder zu Kruschke hinauf: »Mensch, Anton, wir schaffen das!«
    Der Lokführer kniff die Augen zusammen und nahm seinen jungen Freund ins Visier: »Und wenn es noch so viele Querulanten gibt, Florian, wir werden sie uns vom Leib halten.« In seiner Stimme lag ein beschwörender Unterton. Der Schaffner kannte dies und wusste, dass Kruschke bereit war, unbeirrt seinen Weg zu gehen. Manchmal erinnerte er ihn an einen perfekten Schachspieler, der es geschickt verstand, seinen Gegner systematisch auszuschalten. Aber das mochte wohl an seinem Beruf liegen, dachte Florian in solchen Momenten. Als Viehhändler, der Kruschke einst gewesen war, hatte er es vermutlich nicht immer mit den feinsten Gepflogenheiten zu tun gehabt. Nicht umsonst sprach man noch heute auf der Alb von einem »Kuhhandel«, wenn ein Geschäft gemeint war, das am Rande der Legalität abgewickelt wurde. Kruschke hatte vor 15 Jahren zwar die Branche gewechselt, es aber dann innerhalb kürzester Zeit zum Großunternehmer gebracht.
    Die Menschen, die auf dem Bahnsteig blieben, traten nur zögernd zurück. Florian Metzger beobachtete sie und entschied sich fürs Weiterfahren. Er hob vorschriftsmäßig seine Tafel, während ihm Kruschke noch zurief: »Junge, nur eines zählt: Zusammenhalten.«
    Eine Antwort bekam er nicht, weil Florian bereits seine Pfeife im Mund hatte und kräftig hinein pustete. Der Lokführer zwängte sich aus seinem Fenster zurück auf den Führerstand, wo sein Kollege das Inferno im Höllenofen nachgeschürt hatte. Kruschke warf einen flüchtigen Blick auf die primitiven Instrumente und drehte an dem eisernen Rad. Die Lok stieß fauchend eine Dampfschwade in den blau gewordenen Himmel und setzte sich langsam in Bewegung. Der Lokführer atmete tief. Ein anstrengender Tag, dachte er und streckte den Kopf wieder aus dem Fenster, um den Bahndamm vor sich überblicken zu können.
    Sein Kollege warf die Kohlenschaufel in den Behälter zurück und lehnte sich aus dem linken Fenster. »Alles okay«, rief er mit einer seitlichen Kopfbewegung seinem Kollegen zu. Im Schritttempo keuchte und zischte die E 75 11 18 an den Zuschauern vorbei, die jetzt respektvoll zurückgetreten waren.
    Als sie Gussenstadt verlassen hatten, drehte sich der zweite Lokführer zu Kruschke, der angestrengt den Gleisverlauf im Auge behielt. »Sag’ mal, der Florian, den hast du ja voll auf deiner Seite – oder seh’ ich das falsch?«
    Kruschke sprach seine Worte buchstäblich in den Wind – aber so laut, dass ihn sein Kollege verstehen konnte: »Wir lassen uns nicht von ein paar Idioten das Ding vermasseln.« Er zögerte und drehte den Kopf kurz in Richtung Innenraum: »Da kannst du dich drauf verlassen.«
     
    Die Feuchtigkeit der

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