Mordloch
Göppingen gekommen war, bat er über Funk die Kollegen des Streifendienstes, eine Fahndung nach dem Mercedes-Kombi zu veranlassen und Frau Flemming abzuholen und nach Ulm zu bringen. Dann ließ er sich mit dem Kollegen Schmidt verbinden, einem altgedienten Beamten der Geislinger Außenstelle, der inzwischen auch aus der Sonntagsruhe herausgerissen worden war und nun bereits im Lehrsaal die technischen Voraussetzungen für die Sonderkommission traf. Er schilderte ihm die Situation. »Wenn sich die Gerichtsmedizin meldet, dann rufen Sie mich bitte sofort an.«
Schmidt bestätigte, während im Hintergrund Bruhns Stimme durch den Raum hallte. »Der Chef will Sie«, erklärte der Kollege und reichte den Hörer weiter. Bruhn kam ohne Umschweife, wie das seine Art war, zur Sache: »Dieser Sander hat angerufen, dieser Journalist«, bellte er unwirsch, »hat wohl von der Sache Wind gekriegt. War ja kein Wunder, bei dem Auflauf da draußen.« Es klang vorwurfsvoll, als sei Häberle schuld daran, dass so viele Neugierige den Einsatz am Mordloch verfolgt hatten. »Wenn wir morgen noch was ins Blatt setzen wollen, müssen wir handeln.«
Häberle lächelte. Der Sander, ja, Journalist der »Geislinger Zeitung«, einer von der angenehmen Sorte. Sie kannten sich seit Jahrzehnten – und das Verhältnis war ungetrübt. »Sagen Sie ihm einen schönen Gruß von mir und wir werden morgen Früh miteinander reden.«
»Der wird ein Riesentheater veranstalten«, kläffte Bruhn. »Und die Sache aufblasen – aus einer Mücke einen Elefanten machen.«
Linkohr schaltete den Motor wieder aus.
»Wenn Sie ihm einen Gruß von mir ausrichten«, erklärte Häberle geduldig, »dann geschieht nichts. Sagen Sie ihm, wir hätten einen unbekannten Toten im Mordloch gefunden, vermutlich ein Tötungsdelikt, keinen Namen natürlich. Sagen Sie ihm, es gebe Hinweise, wer der Tote sei, doch dass wir gerade erst am Identifizieren seien.«
Bruhn bruddelte vor sich hin, doch Häberle sprach weiter: »Und bitten Sie ihn um einen Zeugenaufruf. Wer hat seit Samstag am Mordloch irgendwas beobachtet? Personen, Fahrzeuge – das Übliche halt.«
»Das soll der, Ö’ machen«, entschied Bruhn abrupt und meinte den Beamten für Öffentlichkeitsarbeit. »Wo ist der überhaupt?«
»Egal, wer«, erwiderte Häberle, »aber es muss unbedingt für morgen ein Zeugenaufruf in die Zeitung.« Er schaute auf seine Armbanduhr. Es war halb neun. »Sehr viel Zeit werden wir nicht mehr haben.«
Bruhn erwiderte nichts, sondern legte auf.
»Und jetzt?« fragte Linkohr.
»Zu diesem Wühler«, erklärte Häberle und steckte sein winziges Handy in die Innentasche seines legeren Sommerjacketts. »Wissen Sie, wo der wohnt?«
Der junge Kollege nickte und startete den Motor. Die Scheibenwischer konnten die herabprasselnden Wassermengen kaum bewältigen. An den Straßenrändern hatten sich bereits tiefe Rinnsale gebildet, die dem nächsten Gully entgegen strebten. Linkohr steuerte den Wagen aus dem Neubaugebiet hinaus, das hier »Roßhülbe« genannt wurde, und erreichte die Ortsdurchfahrt. Dort bog er links ein und folgte dem Straßenverlauf, vorbei an großen Hofstellen und an der Kirche, bis er kurz vor dem Ortsende rechts blinkte. Ein mit bunten Bändern bekränzter Besen wies zu Wühlers Besenwirtschaft.
»Wieso Besen?« staunte Häberle, »Besenwirtschaften gibt’s doch nur in Weingegenden. Und hier oben wächst garantiert keine einzige Rebe.«
Linkohr wusste Bescheid. »Heißt halt so. Ein Gag vermutlich. Außerdem ist das Lokal nur wenige Wochen im Jahr geöffnet.« Er bog mit dem Mercedes scharf rechts ab und erreichte den Innenhof einer großen, U-förmigen Hofstelle. Links und vor ihnen befanden sich Stallungen und Scheunen, rechts das lang gezogene Wohnhaus, in dessen Erdgeschoss das Lokal eingerichtet worden war. Fensterläden und Blumenschmuck hoben diesen Teil des schlichten Gebäudes hervor. Eine alte Dunglege vor der Tür ließ vermuten, dass in frühen Zeiten in diesem Teil des Wohnhauses auch ein Stall untergebracht war. Drüben an der Scheune schoss Regenwasser wie ein Sturzbach aus einer defekten Dachrinne, weshalb im Hof tiefe Pfützen entstanden waren. Linkohr parkte den Mercedes in die Reihe mehrerer abgestellter Autos. Häberle eilte in gebückter Haltung zur Eingangstür, sein junger Kollege tat es ihm nach. Trotzdem waren Haare und Kleider bereits nass, als sie das Lokal betraten, in dem ihnen eine rauchgeschwängerte Schwüle und enormes Stimmengewirr
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