Mordloch
gegangen sei. Ob er zu Hause sei, wisse sie nicht.
Linkohr versuchte es auf der privaten Nummer. Augenblicke später dröhnte eine kräftige Männerstimme aus dem Lautsprecher. »Ja?«
»Bin ich mit Herrn Kruschke verbunden?« fragte Link-ohr eine Spur zu sanft.
»Ja, sind Sie«, kam es zurück.
Sie erreichten gerade Gussenstadt. Der Schatten, den der Mercedes nach vorne warf, war bereits lang geworden. Link-ohr erklärte, wer er sei und dass er zusammen mit seinem Kollegen Häberle kurz vorbeikommen wolle. Kruschke schien davon nicht sehr angetan zu sein. »Das muss jetzt sein, jetzt gleich?« Die Stimme verriet Unsicherheit.
»Wir sind ganz in Ihrer Nähe und dachten, wir könnten die paar Fragen kurz erledigen«, erklärte Linkohr.
»Ich hab’ aber wenig Zeit.« Er zögerte. »Um 20 Uhr hab’ ich bereits einen Termin in Ulm.«
Häberle nickte seinem Kollegen zu. »Das reicht«, erklärte der junge Kriminalist, »wir sind in spätestens zehn Minuten da.« Dann unterbrach er die Verbindung, um keinen Widerspruch mehr zuzulassen. Häberle fuhr durch die lange Ortsdurchfahrt von Gussenstadt. Nach wenigen Kilometern war das Alb-Städtchen Gerstetten erreicht, wo sie einen Fußgänger nach dem Weg zu jener Straße befragten, in der Kruschke wohnte. Die Antwort war ziemlich präzise, was Linkohr erstaunte, weil erfahrungsgemäß kaum jemand eine brauchbare Streckenbeschreibung abgeben konnte.
Sie fanden das Haus auf Anhieb. Es stand am Ende der Straße, wirkte wuchtig und protzig, schien aber älteren Datums zu sein. In der Garagen-Zufahrt parkte ein silberfarbener S-Klasse-Daimler.
Häberle ging an dem Wagen vorbei zu der bogenförmigen weißen Alu-Haustür, die sich an der Giebelseite befand. Ein Namensschild war nicht angebracht – wie üblich bei Unternehmern, dachte er und klingelte. Gleich darauf stand ein Mann vor ihnen, einen halben Kopf größer als Häberle, braungebrannt, mit kurzärmligem hellblauem Hemd und einer Jeans.
Die Kriminalisten stellten sich vor und wurden mit knappen Worten durch eine geräumige Diele in den Wintergarten-Anbau geleitet, in den es einige Stufen abwärts ging. Dort empfing sie das Grün zahlreicher Pflanzen und hoch aufragender Bäumchen. Die Sonne hatte das Glashaus erwärmt, die Luft fühlte sich feucht an – wie in den Tropen. Das innere Grün schien sich draußen nahtlos fortzusetzen.
Die Kriminalisten nahmen auf den Rattanstühlen Platz, Kruschke ließ sich ihnen gegenüber nieder. Auf dem Tisch standen zwei gebrauchte Gläser, in die die Reste des Rotweins längst hineingetrocknet waren. Überbleibsel des gestrigen Abends, dachte Häberle.
»Sie haben ein paar Fragen«, begann Kruschke und gab sich locker, »schießen Sie los.«
»Wir können Ihnen das nicht ersparen«, erklärte Häberle und stützte sich mit den Unterarmen auf dem Tisch ab, »aber wir müssen das Umfeld des Herrn Flemming beleuchten. Sie haben ihn gut gekannt?«
Kruschke schluckte und meinte: »Gut gekannt ist vielleicht zu viel gesagt. Kommt drauf an, wie Sie das meinen?«
»So wie ich das sage«, entgegnete Häberle, während sein Kollege den Notizblock auf den Tisch legte und Stichworte notierte, »zum Beispiel bei der Eisenbahn.«
Der Unternehmer lächelte gekünstelt. »Ja, natürlich. Ich bin leidenschaftlicher Lokführer. Ich hab’ den Lokführerschein gemacht und fahr’ Dampfloks«, sagte er stolz, »das kann heutzutage nicht mehr jeder.«
Häberle nickte anerkennend. »Und Flemming war da auch dabei«, stellte er fest.
»Natürlich«, Kruschke ließ die Arme seitlich hinter sich über die Stuhllehne baumeln, ganz entspannt, »er hat mal ein bisschen gesponsert. Ohne Geld läuft nicht viel. Der Eisenbahnbetrieb kostet viel Geld – obwohl uns so ein Sonntag wie gestern fantastische Einnahmen beschert.«
»Dann ist Flemming auch immer mitgefahren?«
Kruschke schüttelte den Kopf. »Nein, nicht immer. Aber oft. Ja, das kann man so sagen.«
»Dass er gestern nicht dabei war, hat Sie nicht verwundert?« fragte Häberle schnell.
»Wieso sollte mich das?« staunte Kruschke ebenso schnell. »Im Übrigen krieg’ ich vorne auf der Lok nicht mit, wer hinten in den Waggons sitzt.«
»Und der Herr Westerhoff?« Der Kommissar wartete gespannt auf eine Reaktion. Doch der Unternehmer blieb gelassen.
»Ist auch ein Sponsor«, erklärte er kurz und knapp. »Ein sehr guter sogar.« Kruschke stockte.
»Ein enger Freund zu Flemming?« wollte Häberle wissen.
Kruschke zuckte mit den
Weitere Kostenlose Bücher