Mordloch
– und Heinrich so verdammt weit weg, unerreichbar. Dabei hätte sie zu Fuß zu ihm rübergehen können.
Sie löschte das Licht ihrer Nachttischlampe und kroch unter die Decke. Draußen fuhr irgendwo ein Auto, in der Wohnung knackte Holz, das sich jetzt abkühlte. Es war still, fast bedrohlich still. Sarah versuchte, an etwas Schönes zu denken, an den letzten Urlaub in Antalya, an die heimlichen Stunden mit Heinrich, drüben auf dem Feldweg hinter seiner Windkraftanlage, von wo sie die Sonne untergehen sahen.
Plötzlich war da etwas. Sie richtete sich auf und lauschte in die Nacht. Ein Geräusch hatte sie erschreckt. Es war nur leise gewesen, aber metallisch und ganz anders als das Knacken von Materialien, die sich unter dem Einfluss von Temperaturen dehnten oder zusammenzogen. Schon wieder. Ein kurzes Klicken – und dann, ganz eindeutig, das vorsichtige Öffnen einer Tür, die gleich wieder sanft geschlossen wurde.
Sarah hielt den Atem an. Sie spürte, wie die Angst all ihre Glieder lähmte. Ihr Herz begann zu rasen. Es bestand gar kein Zweifel: Da war jemand im Haus. Schleichende Schritte auf dem gefliesten Boden in der Diele, zu der die Schlafzimmertür einen Spalt weit offen stand. Die Frau starrte entsetzt in die Finsternis, bemerkte, wie ihr Gehirn im Dunkeln weiße Ornamente und Figuren erscheinen ließ, reine Einbildung, Panik, Entsetzen.
Ein Lichtschein flammte auf, der Strahl einer Taschenlampe – sodass sich die Tür aus der Nachtschwärze hervorhob. Jetzt war es Gewissheit. Gleich würde es geschehen, gleich würde sie hilflos und dazu hin noch nackt dieser Gestalt ausgeliefert sein. Sarah zog den Teppich bis zum Hals hoch und kauerte sich auf ihr Bett. Sollte sie zur Tischlampe greifen und sich wehren? Sie verwarf den Gedanken wieder. Ein Kampf würde sinnlos sein. Sie begann zu zittern. Vielleicht sollte sie sich schlafend stellen. Wenn es gewöhnliche Einbrecher waren, konnten sie ihretwegen die ganze Wohnung ausräumen. Dann war es besser, sich ihnen nicht in den Weg zu stellen. Aber jetzt konnte sie sich nicht mehr bewegen und flach unter die Decke kriechen. Dazu war es zu spät. Der Lichtstrahl tanzte und näherte sich dem Türspalt. Sarah vernahm das Geräusch von Kleidungsstoffen, die aneinander rieben. Bewegungen also. Dann flüsternde Stimmen. Sarahs Augen blieben wie erstarrt auf die Tür gerichtet. Es waren also zwei – oder drei, oder vier. Sie würde keine Chance haben, nicht die geringste.
Die Tür wurde aufgestoßen, der Lichtstrahl traf sie und blendete sie. Da mussten drei Personen sein, schoss es ihr durch den Kopf. Drei also. Mindestens.
»Schaut euch das an, wen haben wir denn da?« hörte sie eine Männerstimme höhnen, während das Deckenlicht angeknipst wurde. Sie blieb wie versteinert auf dem Bett sitzen, die Decke fest an die Brust gepresst. Vor ihr standen drei Männer, die sie nie zuvor gesehen hatte. Ihre Gesichter waren kantig und zu einem überlegenen Grinsen verzogen.
»Das ist sicher die scharfe Sarah«, konstatierte ein Schnauzbärtiger und ging einen Schritt auf das Bett zu.
Die Frau nahm allen Mut zusammen. »Was wollen Sie von mir.« Die Stimme klang ängstlich, zitternd, schwach.
Der Mann, der alle überragte und wie ein Kleiderschrank zwischen den anderen stand, gab die Antwort, sachlich, kühl, überlegen: »Wir werden die kleine Sarah dort hin bringen, wo sie keinen Schaden anrichten kann.« Und er fügte grinsend hinzu: »Sondern wo sie nur große Freude verbreiten wird.«
»Ja, Freude«, wiederholte der Dritte, der sich im Hintergrund hielt, jedoch ein genauso fieses Lächeln zur Schau trug, wie die anderen.
Der Kleiderschrank, der offensichtlich der Anführer war, erteilte Anweisungen: »Du wirst jetzt mitkommen – und zwar ohne Widerstand. Hast du kapiert?«
Sarah schwieg. Doch um der Aufforderung Nachdruck zu verleihen, griff der Schnauzbärtige zur Decke und riss sie ihr mit einem kräftigen Ruck aus der Hand. Sie kauerte sich nackt auf das Bett, die Knie angezogen, die Arme um die Beine verschränkt, um ihre Blöße zu verbergen.
Die Männer lachten. »Chef«, meinte der Schnauzbärtige, »schau dir das an. Vielleicht sollten wir ...«
»Quatsch nicht rum«, fuhr ihm der Anführer über den Mund, »doch nicht hier. Sie soll was anziehen – und zwar zack-zack.« Er deutete auf den großen Spiegelschrank. »Da drin wird’s ja wohl ein paar Klamotten geben.«
Während der Schnauzbärtige sichtlich enttäuscht die Schranktüren öffnete,
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