Mordloch
nicht von weiteren Bemerkungen abbringen. »In letzter Zeit haben’s die Spatzen von den Dächern gepfiffen. Und seit gestern noch mehr. Jetzt, wo Flemming tot ist, hat Westerhoff nur noch ein Problem ... seine eigene Frau. Aber in diesen Kreisen sind ein paar tausend Euro für eine Scheidung doch kein Hindernis. Oder was meinen Sie?«
Der Kommissar zuckte mit den Schultern. Er wollte sich dazu nicht äußern. Während sich Frau Mayer auf die Couch setzte, wechselte Häberle ihr zuliebe das Thema: »Diese Dampfzüge da«, begann er vorsichtig, »welche Rolle spielen die hier oben?«
Der Älbler, dessen dünne Haare wirr vom Kopf hingen, kratzte sich am schlecht rasierten Kinn und hob dann das Glas. »Zuerst mal Prost – ein echter Waldhauser ›Semsenkrebsler‹.« Er lachte und meinte mit diesem urschwäbischen Ausdruck, dass der Most aus den Äpfeln und Birnen der Hochfläche wohl etwas rau sein würde. Häberle schmeckte er. Linkohr verzog leicht die Mundwinkel, sagte aber nichts.
Mayer knüpfte an die Frage an: »Wenn Sie die Dampfzüge ansprechen – der Westerhoff ist wohl Mitglied bei diesem Verein – der Flemming wohl auch. Jedenfalls hab’ ich das gehört. Aber insgesamt sind die Eisenbahner hier sehr gut angesehen. Wir vom Ortschaftsrat unterstützen sie auch.« Er holte tief Luft. »Die Museumsbahn ist die einzige Attraktion, die wir haben. Wühler ist auch stark daran interessiert.« Mayer verschränkte jetzt die Arme im Nacken, um sein Kreuz zu strecken. »Vielleicht ist er das nicht ganz uneigennützig. Wenn die Dampfzüge fahren, kommen die Touristen – und er ist ja schließlich ins Gastgewerbe eingestiegen – mit seiner Besenwirtschaft.«
Häberle hob beschwichtigend die Arme. »Es steht nirgendwo, dass es verboten ist, eigennützig zu handeln. Im Gegenteil: In diesem Land wird doch die Eigeninitiative propagiert. Ich-AG und so.« Mehr wollte er dazu nicht sagen. Es wäre nur wieder Kritik an der Regierung gewesen, die mit diesen »Ich-AG’s« viele Arbeitslose in eine aussichtslose Selbstständigkeit trieb – und damit neue Armut produzierte.
Häberle gab ein neues Stichwort: »Kruschke«, er machte eine kurze Pause, »ist Ihnen Kruschke ein Begriff?«
Frau Mayer trank nachdenklich einen Schluck Most, während ihr Mann die Antwort gab: »Ein fanatischer Eisenbahn-Freund. Er fährt die Lok – meistens jedenfalls. Er würde am liebsten jeden Tag fahren. Aber das muss nicht schlecht sein«, räumte er ein, »solche Männer brauchen wir hier oben.«
»Er ist Transportunternehmer?« hakte Häberle nach, als wisse er das nicht längst.
Mayer nickte. »Ja, deshalb hat er wohl die Zeit und auch das Geld, sich mit der Eisenbahn zu beschäftigen.« Der Albbauer lächelte. »Früher hat er wahrscheinlich mit einer Modelleisenbahn von Märklin gespielt – und jetzt hat er eine richtige.«
»Wie sind seine Verbindungen hierher einzustufen?«
Mayer zuckte mit den Schultern, öffnete einen Knopf an seiner viel zu engen blauen Arbeitsjacke und griff zum Glas. »Ich denke, es gibt Kontakte über die Eisenbahn – zu Westerhoff natürlich und sicher auch zu Flemming.« Nach kurzem Überlegen fügte der Bauer hinzu: »Vielleicht auch zu Seitz.«
»Seitz?« fragte Häberle, doch da fiel ihm bereits ein, dass damit der Wirt der ›Oberen Roggenmühle‹ gemeint war.Mayer bestätigte dies und erklärte: »Dort hab’ ich die drei in letzter Zeit öfters gesehen.«
»Und in Wühlers ›Besen‹?« wollte der Kommissar sofort wissen.
»Das kann ich nicht sagen. Seit die Sache mit dem Schweinestall läuft, war ich nicht mehr dort.«
»Und Freudenthaler ...« Der Kommissar wollte ein weiteres Stichwort geben. »Kennen Sie diesen Namen?«
Mayer schüttelte langsam den Kopf. Seine Frau schaute ihn erstaunt an.
Der Schäferhund gebärdete sich wie wild, als die beiden Kriminalisten wegfuhren. »Sagen Sie ehrlich, hat Ihnen der Most geschmeckt?« fragte Linkohr und begann, ins Handy die Nummer Kruschkes einzugeben.
»Schwäbisches Nationalgetränk, Kollege«, gab Häberle zurück, »erstens schmeckt’s mir wirklich und zweitens sollten Sie bei Ermittlungen niemals Ihren Gastgeber vor den Kopf stoßen. Immer schön mitmachen – das lockert die Atmosphäre auf.« Der Mercedes rollte aus Waldhausen hinaus, vorbei an Wühlers ›Besen‹.
Unter der Geschäftsnummer Kruschkes meldete sich die Sekretärin, die mit gekünsteltem Bedauern in der Stimme wissen ließ, dass ihr Chef leider bereits weg
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