Mordloch
einparken. Leo, der sich ins Gras gelegt hatte, hob vorsorglich den Kopf, schien aber nichts Aufregendes festzustellen. Sein Herrchen wischte sich die Hände an der Arbeitskleidung ab und beobachtete den Mann, der aus dem Mercedes stieg und dem schmalen Steg zustrebte, der den Auslauf der Fischteiche überspannte. Der Fremde durchschritt das Veranstaltungszelt, dessen Stoffwände zur Seite geschoben waren, und ging zielstrebig auf das Mühlengebäude zu. Martin Seitz, an diesem Mittag allein, folgte den schmalen Wiesenstreifen zwischen den Teichen, um den Besucher am Haus zu treffen. Dieser hatte den Wirt inzwischen bemerkt und war stehen geblieben.
»Sie sind der Chef des Hauses?« fragte er.
»Richtig«, erwiderte Seitz freundlich, während sich in gebührendem Abstand nun auch Leo sehen ließ. Es schien so, als wüsste der Hund, dass allein sein Anblick ausreichend sein würde, jedem Fremdling Respekt einzuflößen. Da bedurfte es keines Bellens und keines Knurrens.
»Freudenthaler«, stellte sich der Gast vor und schüttelte dem Wirt die Hand, »Tourismusmanagement. Haben Sie einen Augenblick Zeit?«
Seitz blickte in ein faltenreiches Gesicht. Der Mann war korrekt gekleidet und hielt einen schwarzen Aktenkoffer in der Hand. Für einen Moment befürchtete der Wirt, er habe es wieder mit einem dieser windigen Anzeigenaquisiteure zu tun, die nichts weiter vorhatten, als sündhaft teure Inserate für läppische Broschüren zu ergattern.
Freudenthaler las diese Skepsis aus dem Gesicht des Wirts. »Ich will nichts verkaufen – sondern nur über die Fremdenverkehrssituation mit Ihnen reden.«
Seitz musterte den Mann, der beinahe einen Kopf kleiner war als er. »Wenn’s nicht allzu lange dauert«, sagte er und bat ihn in den stilvoll eingerichteten Mühlenraum, gleich links des Eingangs. Sie setzten sich an den ersten Tisch, während ihnen Leo unauffällig gefolgt war und diskret im Flur zurückblieb. Dort legte er sich mit seiner ganzen majestätischen Größe auf den gefliesten Boden. An ihm würde keiner vorbeikommen.
Freudenthaler ließ seinen Aktenkoffer aufschnappen und entnahm einige Schnellhefter. Außerdem legte er Seitz eine Visitenkarte auf den Tisch.
Er erklärte, dass er seit einigen Tagen im hiesigen Raum unterwegs sei, um einerseits Unternehmern neue EU-Märkte zu erschließen und andererseits Ideen für den Tourismus zu entwickeln. »Und Ihre Gaststätte hier«, resümierte er, »ist geradezu prädestiniert für den ›sanften Tourismus‹, für Erholung und Romantik.«
Seitz fühlte sich geschmeichelt. Sein Gast faltete einige Broschüren auf, die er für eine Region im Allgäu entworfen hatte. Es waren übersichtliche Pläne und Aufstellungen über alle Aktivitäten und Angebote, die es dort kreisübergreifend gab. »Das Wichtigste dabei ist: Es finanziert sich selbst«, triumphierte Freudenthaler, »bei allem, was wir angeleiert haben, ist unterm Strich nie eine rote Zahl rausgekommen.«
Seitz griff nach den Unterlagen und musste Freudenthaler zugestehen, dass sie professionell gemacht waren. Dies spornte den Manager zu weiteren Vorschlägen an. Er schwärmte von der unberührten Landschaft in diesem Tal, von den bewaldeten Hängen und den trotzdem dicht beieinander liegenden Besonderheiten. »Diese Museumsbahn da oben«, Freudenthaler machte eine entsprechende Kopfbewegung, »an der könnten auch Sie partizipieren. Denken Sie mal darüber nach! Wie wär’s an solchen Tagen mit einer Pferdekutschenverbindung vom Bahnhof bis hier runter? Da gibt’s doch sicher eine alte Steige, über die früher die Bauern mit ihren Fuhrwerken gefahren sind.«
Seitz verschränkte die Arme vor seinem Arbeitsoverall. »Haben Sie auch schon Kontakt zu anderen aufgenommen?«
Freudenthaler nickte eifrig. »Auch mit den Eisenbahnern – und anderen, ja. Wir sollten in Bälde eine ...« Er suchte nach einem passenden Begriff. »... eine Interessengemeinschaft gründen.«
Nachdem er keinen Widerspruch erntete, wechselte Freudenthaler das Thema. »Ihnen als Unternehmer hätt’ ich noch ein anderes Angebot zu machen ...« Er kramte in seinem prallgefüllten Aktenkoffer und zog schließlich eine blaue Broschüre heraus, auf deren Titelblatt eine Forelle abgebildet war. Die Schrift jedoch konnte Seitz nicht lesen. Es schien eine slawische Sprache zu sein.
»Ich weiß, Sie züchten Forellen«, stellte Freudenthaler fest und schaute sein aufrechtes Gegenüber vorsichtig von unten herauf an. »Ein Heidengeschäft«,
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