Mordloch
fuhr er fort, »arbeitsaufwendig, Zeit raubend – und damit kostenintensiv.«
Seitz überlegte, worauf der Manager hinaus wollte.
»Wenn ich Ihnen jetzt sage, dass es kaum irgendwo anders klareres Gebirgswasser gibt, als in der Hohen Tatra, ganz hinten in der Slowakei, dann wird Ihnen klar, worauf ich hinauswill.«
Seitz lächelte gezwungen. Er konnte es sich denken.
»Was spricht dagegen, sich die munt’ren Forellen von einer Gegend kommen zu lassen, wo die Arbeitslöhne nur einen Bruchteil dessen betragen, was Sie bei uns berechnen müssen?«
Seitz schluckte. Er brauchte nicht lange zu überlegen, sondern gab schlagfertig die Antwort: »Was dagegen spricht? Meine heimische Qualität, mein guter Ruf, meine Verantwortung gegenüber dem Kunden.«
Freudenthaler zeigte sich unbeeindruckt. »Wir müssen Abschied nehmen von überkommenen Traditionen, Herr Seitz. Wer in diesen Zeiten globalen Handels nicht mithält, wird verlieren.«
»Entschuldigen Sie«, blieb auch der Wirt höflich, »aber ich sehe in Ihrer Argumentation einen Widerspruch. Einerseits propagieren Sie die Vermarktung unserer Landschaft und andererseits wollen Sie mich und wahrscheinlich auch andere Unternehmer dazu animieren, Geschäfte mit dem fernen Ausland zu machen.«
»Das ist Business, Herr Seitz, Geschäft.« Er machte eine Pause. »Aber es war ja nur ein gutgemeintes Angebot.« Er ließ die Seiten der Broschüre durch seine Finger gleiten.
Seitz wollte das Gespräch beenden: »Diese Denkweise entspricht den heutigen Betriebswirtschaftlern, den eiskalten Rechnern, wie ich es immer sage. Was zählt, ist nur der schnelle Euro. Ihm wird alles geopfert. Alles.« Die Stimme des Wirts wurde scharf. »Wir werfen alles über Bord, was bisher gut war – nur, weil man vorübergehend im Ausland billiger produzieren kann. Vorübergehend, sag’ ich. Was glauben Sie, wie lange es noch dauert, bis die Menschen in der Hohen Tatra aufwachen? Und dann? Holen Sie dann Ihre Forellen noch weiter ostwärts, aus der Ukraine?«
Freudenthaler schwieg und packte seine Akten enttäuscht wieder ein.
»Auf diese Weise wird die heimische Produktion in allen Bereichen zerstört. Und zwar unwiederbringlich«, stellte Seitz fest, der schon in frühester Kindheit gelernt hatte, dass nur mit ehrlicher Qualität langfristig Erfolg zu erzielen ist. »Und wer ...« so fuhr er fort, »wer um Gottes willen soll denn irgendwann einmal all die Produkte kaufen, mit denen wir selbst unser Land von auswärts überschwemmen? Wer hat dann noch das Geld, wenn die Arbeitslosigkeit steigt und steigt?«
Der Manager ließ die Verriegelungen seines Aktenkoffers einrasten und stand auf.
»Noch eines möchte ich Ihnen mit auf den Weg geben«, sagte Seitz wieder gelassener, »ich kenne einige, die sich auf solche Geschäfte eingelassen haben, einige.« Er stand nun ebenfalls auf. »Und ich kann Ihnen sagen – da sind manche bitterbös’ auf die Nase gefallen.«
Freudenthaler strebte wortlos den drei Stufen zu, die aus dem Mühlenraum in den Flur hinaufführten, wo sich Leo ausgebreitet hatte. Seitz gab seinem Gast noch einen Rat mit auf den Weg: »Und glauben Sie mir – auch Sie sollten sich in Acht nehmen.« Es klang fast wie eine Drohung.
30
Florian Metzger war begeistert. Auf diesen Tag hatte er seit einem halben Jahr gewartet. Soeben war dieser blaue Bagger von einem Tieflader gerollt, den sie zum Schnäppchenpreis irgendwo im Ruhrgebiet aufgetrieben hatten. Diese Maschine konnte mit ihren Gummireifen sowohl auf der Straße fahren, als auch mit den Eisenrädern auf Schienen. Ideal, um die Strecke quer durch die Stadt Geislingen wieder herzurichten, die Böschungen zu stabilisieren und den Bewuchs zu beseitigen.
Metzger, längst im Besitz des Lokführerscheins, konnte es jedenfalls kaum erwarten, mit diesem Gefährt zu arbeiten. Er ließ sich von einem der beiden Männer, die den Bagger von der Rampe des Tiefladers gefahren hatten, mit der Steuerung vertraut machen. Hier, am so genannten Tälesbahnhof, der längst ein Jugendhaus beherbergte, würde er die Maschine gleich auf die Schiene setzen. In den einschlägigen Bestimmungen kannte er sich aus. So durfte er die schienengleichen Bahnübergänge nur überqueren, wenn eine Person mit roter Signalfahne den Straßenverkehr sicherte.
Bis die Formalitäten abgewickelt waren, dauerte es zwei Stunden, dann war Metzger endlich Herr über ein Schienenfahrzeug. Während der Tieflader vom Gelände des ehemaligen Bahnhofs rollte,
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