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MORDMETHODEN

MORDMETHODEN

Titel: MORDMETHODEN Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Benecke
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Aussagen mit dem, was Seiferts sechs Jahre jüngerer Bruder, von Beruf Fernmeldesekretär, über den Täter berichtete. »Bevor [mein Bruder 1955] heiratete, hatte ich einen Krach mit ihm. Er hatte einen Plan, den ich für vollkommen verrückt hielt.«
    Dieser Plan war mehr als verrückt, und er war der Vorbote dessen, was später zum Tod von zehn Schülern und zwei Lehrerinnen führte. Denn der ältere Seifert-Bruder plante, in einem Kellerloch Mädchen zu horten, »um diese nach Bedarfzu gebrauchen«. Er wollte die Opfer »in das Haus schaffen«, indem er ihnen an Feldwegen auflauerte, sie betäubte und dann mit dem Mofa abtransportierte.
    »Ich hatte jedenfalls den Eindruck«, sagte der jüngere Seifert, »dass mein Bruder diese Sache ernst meinte. Man kann es an seinem Gesicht sofort sehen.« Er konnte Walter aber zweimal von diesen Entführungsvorhaben abbringen.
Motiv und Planung
    »[Ein Streit mit Kanalarbeitern] war der einzige Ärger gewesen, den ich meinem Bruder gestern angesehen habe«, gab der jüngere Bruder weiter zu Protokoll. »Wir unterhielten uns noch etwas über das Fernsehen. Sonst habe ich meinem Bruder nicht angemerkt, dass er eine solche Tat vorhatte.«
    Doch auch das war nur eine rosa gefärbte Beschreibung von Walter Seiferts Innerem. Denn schon seit Jahren hatte er sich in ein scheinbar logisches Wahnsystem verstiegen. Seine irre Gedankenkette begann damit, dass zwei Ärzte seine Frau und das neugeborene Kind auf dem Gewissen haben mussten. In einer über hundertseitigen Schrift, die er an Behörden, Ärzte und Pharmafirmen verschickte, ging Seifert dieser Sache weiter auf den Grund.
    »Der Arzt ist der größte Armen-Massenmörder in der Geschichte der Menschheit … Was also tun? An das ›Gewissen‹ appellieren – sinnlos. Wer das tut, hat kein Gewissen. Die von mir erkannte Wissenschaft vor irgendein Gericht? Nein, nun setzt die Selbstjustiz, der Terror der Gruppe Arzt im pluralistischen Verbrecherchaos ein. Terror aber kann nur durch Gegenterror beseitigt werden, und wer mir den Schutz des Gesetzes verweigert, zwingt mir die Keule in die Hand.«
    Der von solcher Erkenntnis Durchdrungene meinte daher, gegen das System kämpfen zu müssen. Dazu wählte er dieselben Methoden, die auch der Feind der Gesellschaft, nämlich »die Gruppe Arzt«, gewählt hatte: wahlloser Terror gegenSchwache. Seine Rachewerkzeuge baute sich Seifert aus dem zusammen, was er als gelernter Bohrer und Dreher im Schuppen fand.
    Dass seine Taten so wahllos waren, wie er es während der kurzen Befragung andeutete, konnte man ihm fast glauben. Die von ihm überfallene Volksschule lag in der Nähe seiner Wohnung. Jenseits aller Tiefenpsychologie war sie wohl wirklich ein zufälliges, weil bequem erreichbares Ziel. Seifert hatte vielleicht wirklich nichts gegen Kinder. Sie wurden aber Opfer seines Anschlags, weil ein Racheplan, der über Gesetzen und Regeln stand, es ihm so befahl.
    Walter Seifert hatte aber auch vorher schon gegen die Mächte gefochten. Der in Köln geborene Handwerker war im Alter von 20 Jahren als Soldat zum Kriegsdienst verpflichtet worden. Bereits nach einem Jahr wurde er wegen Tuberkulose wieder entlassen. Die Krankheit wurde zwar nicht auskuriert, verschlimmerte sich aber auch nicht. Trotzdem konnte Seifert nie mehr körperlich arbeiten und blieb arbeitslos.
    Der verbitterte Mann glaubte, dass seine Krankheit ein Kriegsleiden sei: Er habe sich bei anderen Soldaten angesteckt. Seit 1955 war Seifert wegen der Lungenkrankheit in ärztlicher Behandlung, und 1960 wurde er zum »Invaliden« erklärt, das heißt zur arbeitsunfähigen Person mit entsprechenden Sozialansprüchen. Trotzdem kämpfte er um eine höhere Kriegsrente. Die bekam er aber nicht. Also schickte Seifert dem Leiter des Gesundheitsamtes sowie dem Kölner Oberstadtdirektor Max Adenauer immer neue Anträge und Beschwerdebriefe.
    Mittlerweile hatte ein medizinischer Obergutachter dem Amtsarzt bestätigt, dass Seiferts Erkrankung schon vor dem Krieg bestanden habe. Den Kranken ärgerte nicht nur das Ergebnis, sondern vor allem, dass das erneute Gutachten ohne Rücksprache mit ihm, nur aus den Akten heraus erstellt worden war. Als Seifert wenige Tage vor seiner unfassbaren Tat von diesem Gutachten erfuhr, sagte er seinen Schwiegereltern,dass es auf der Welt offensichtlich keine Gerechtigkeit gäbe. Die alten Leute bestürzte dabei, dass Seifert in diesem Zusammenhang wieder damit anfing, von seiner toten Frau zu sprechen. »Was könnte

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