MORDMETHODEN
berührt, doch mit dem Mut der Verzweiflung gab der Befragte zu Protokoll, am Abend des 8. August 1961 auf der Privattoilette der elterlichen Gaststätte mit der Kellnerin den GV ausgeführt zu haben«, notierte der Ermittlungsführer. »Das benutzte Präservativ habe er in seine Hosentasche gesteckt, um es auf der Fahrt zur Wohnung wegzuwerfen. Zu Hause habe er erschreckt festgestellt, dass sich das Präservativ immer noch in seiner Hosentasche befand. Um dieses endgültig zu beseitigen, sei er zum Eckpfosten des Gartenzauns gelaufen. Dort habe er einen vom Gras verdeckten Abfluss freigelegt und das gefährliche ›Überführungsstück‹ hineingeworfen.«
Obwohl die Kellnerin den Geschlechtsverkehr mit dem verheirateten Wirtssohn ohne Wimpernzucken bestätigte und ein benutztes Kondom in den Sechzigerjahren ein echtes Problem darstellen konnte, hatte die Geschichte trotzdem eine gewaltige Schieflage. Denn gerade die fragliche Zaunecke war durch eine Laterne nachts hell beleuchtet und konnte vom ehelichen Schlafzimmer aus über die Straße hinweg leicht eingesehen werden.
Weil aber weiter nichts herauszufinden war, hob der Richter vier Wochen später den Haftbefehl auf. Der Dekorateur war wieder auf freiem Fuß.
Zwei Tage später trudelte bei der Witwe, zusätzlich aber auch bei ihrer Schwester, ein neuer Erpresserbrief ein. DerSchreiber drohte dieses Mal nicht mit Verstümmelung, sondern einem »Salzsäurebad«.
Der Brief blieb ohne Wirkung, und so erhielten fünf weitere reiche Menschen im Ort ähnlich lautende Schreiben. Zwei dieser Briefe lag eine ausgeschnittene Todesmeldung aus der Zeitung bei. Mit rotem Stift war darauf eine Textstelle unterstrichen, in der die Angehörigen das »unerwartet rasche Dahinscheiden« ihres Familienmitglieds betrauerten.
Die Polizei setzte mehrere Geldübergaben in Szene, die aber alle ins Leere liefen. Auch der verdächtige Dekorateur hielt sich zurück, sodass sich nicht der kleinste brauchbare Hinweis auf seine Beteiligung an den Drohbriefen ergab. War er, abgesehen vom Ehebruch mit dem Bedienungspersonal seiner Eltern, vielleicht doch unschuldig?
Das Ende des Falls kam schnell und unerwartet. Am dritten Sonntag im Februar 1963 öffnete eine Rentnerin, wieder im selben Städtchen, ihre Haustür. Davor lag ein unfrankierter Brief, in dem sie aufgefordert wurde, 10 000 Mark (5112,92 Euro) bereitzuhalten; ansonsten werde sie »totgeschlagen«.
Geiz oder Geldnot brachten den Täter zu Fall. Offenbar hatte er den Brief persönlich vor die Haustür gelegt, denn mehrere Anwohner konnten die Beschreibung eines Menschen abgeben, der sich zur fraglichen Zeit an die Tür geschlichen hatte. Die Personenbeschreibung kam der alten Dame bekannt vor: Es war der Schachfreund ihres Sohnes.
»In der Wohnung des Schachfreundes, eines 18-jährigen Elektrikers, fand sich genügend Beweismaterial«, fasst Polizist Kimmel zusammen. »Die Beweise reichten aus, um den … Täter der versuchten Erpressung in neun Fällen, des fortgesetzten Einbruchdiebstahls und der Unzucht mit Kindern zu überführen.« Auf diese Art kam nicht nur die Erpressungsserie zum Stillstand, sondern es klärten sich auch mehrere weitere Taten auf.
Bei der Vernehmung gab sich der Schachfreund wortkarg. »Ich brauchte das Geld«, meinte er, »für ein Auto!« Jedes Malaber, wenn er das erpresste Geld für sein Traumauto an der von ihm angegebenen Stelle hätte abholen müssen, verließ ihn der Mut. Dann schrieb er einfach einen neuen Erpresserbrief. Eine Flasche Salzsäure wurde in seinem Zimmer auch noch gefunden; wozu er diese brauchte, verriet der Elektriker aber nicht.
Der Dekorateur hatte mit den Straftaten tatsächlich nichts zu tun. Allerdings hatten ihm sein Schäferminütchen auf der Toilette und seine Vergesslichkeit bei der Kondomentsorgung vier Wochen Untersuchungshaft sowie einige unangenehme Fragen seiner Frau beschert. Danach war Ruhe; der Fall war gelöst.
Nach eineinhalb Jahren wurde der Schachfreund vorzeitig aus dem Jugendstrafvollzug entlassen. Wenige Tage später, am 8. April 1965, öffnete der Leiter des Postamts einen an ihn adressierten Brief. Er wurde aufgefordert, 5000 Mark (2556,46 Euro) an einer genau beschriebenen Stelle abzulegen; falls das nicht geschehe, werde seine fünfjährige Tochter vergewaltigt. Als Absender war auf den Briefumschlag das Firmenlogo einer ortsansässigen Maschinenfabrik aufgestempelt. Im Übrigen war der Brief von Hand geschrieben.
Die mittlerweile in
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