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MORDMETHODEN

MORDMETHODEN

Titel: MORDMETHODEN Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Benecke
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der Stadt?
    Auch hierauf gab es eine Antwort. Das Gelände war während des Krieges von der Gestapo und danach von der sowjetischen Geheimpolizei GPU genutzt worden. Die Gestapo hatte noch kurz vor Kriegsende im April 1945 zahlreiche Exekutionen vorgenommen. Was zuvor in Konzentrationslagern geschehen war, musste nun im Hinterhof der Gestapo erledigt werden: Die KZs waren zu dieser Zeit bereits aufgegeben worden. Die GPU hingegen hatte im Sommer 1953, nach dem gescheiterten Aufstand vom 17. Juni in der damaligen DDR, missliebige Drahtzieher umgebracht. Es stellte sich nun die Frage, wer für die Skelette verantwortlich war – die Gestapo oder die GPU.
    Die grausige Geschichte der Fundstelle hatte also einen kriminalistischen Vorteil. Es gab nur zwei mögliche Tatzeiten: April 1945 für die Gestapo oder Juni/Juli 1953 für die GPU. Konnten diese Jahreszeiten durch biologische Beigaben auseinander gehalten werden?
    Untersucht wurden dazu Pollen aus den Nasenhöhlen der Skelette. Denn im April und Mai blühen andere Bäume und Gräser (etwa Eiche und Linde) als zur Jahresmitte. Folglich können Frühjahrspollen im Sommer kaum eingeatmet werden. Wenn die Gestapo die Morde begangen hatte, mussten also vor allem Eichen- und Lindenpollen an den Leichen zu finden sein.
    Sollten die Morde aber im Juni stattgefunden haben, wären eher Birkenpollen oder solche des sommerlichen Wegerichs (Plantago) zu erwarten. Das würde dafür sprechen, dass die Toten Opfer der sowjetischen Geheimpolizei waren.
    Die Forensiker Reinhard Szibor und Christoph Schubert tüftelten daraufhin im Institut für Rechtsmedizin der Universität Magdeburg einen Arbeitsplan aus. Zuerst mussten sie prüfen, ob sich in den Nasenhöhlen von Leichen, insbesondere von Skeletten, allgemein Pollen finden, die der aktuellen Jahreszeit angehören. Es könnte ja auch sein, dass sich die Pollen derart anreichern, dass am Ende die Pollen aller Jahreszeiten vorliegen. Das wäre durchaus vorstellbar, denn Pollen haben eine sehr feste Hülle, die sich nur schwer zersetzt. Andererseits nutzt auch die festeste Hülle nichts, wenn der menschliche Körper die eingedrungenen Objekte mittels Schleim wieder abtransportiert.
    Die Magdeburger Forscher konnten in einer Reihenuntersuchung aufzeigen, dass die zweite Annahme (Pollen-Abtransport) richtig ist. Dazu schnäuzte Schubert viermal pro Woche in ein frisches Papiertaschentuch. Dann schwemmte er die Pollen im Labor aus, reinigte sie mit kochender Schwefelsäure und ordnete sie anhand ihrer Form unter starken Mikroskopen der jeweiligen Pflanzenart zu.
    Es zeigte sich, dass der lebende menschliche Körper eingeatmete Pollen rasch wieder auswirft. Die Häufigkeitsverteilung der verschiedenen Pollenarten in der Luft spiegelt sich daher je nach herrschender Jahreszeit in Nasen von Leichen wider.
    Auch lange nach dem Tod einer Person können die harten Pollenhüllen für die Forensik eine Rolle spielen. Während sich das Körpergewebe der Leiche zersetzt, bleiben die nun im knöchernen Hohlraum liegenden Pollenhüllen erhalten. Zersetzt sich die Leiche an einer vor starker Auswaschung geschützten Stelle, etwa in einem Erdgrab, können die Pollenhüllen noch nach Jahrzehnten, wohl auch nach Jahrhunderten, aus der Nasenhöhle ausgespült werden. Dann sind sie ein gutes Mittel, um die Jahreszeit oder sogar den Monat des Todes festzustellen.
    Für die Forensiker folgte nach diesen Vorabfeststellungendie eigentliche Falluntersuchung. Gemeinsam mit Kollegen vom Magdeburger Institut für Werkstofftechnik ermittelten sie die Mengen der verschiedenen Pollenarten aus den Skeletten des Massengrabs. In vier Schädeln aus dem Grab zählten die Forscher zwischen 75 und 464 Pollen von Plantago. Außerdem fanden sie einige Linden- und wenige Birkenpollen. Diese Pollen stammen alle aus der Sommerzeit und können in dieser Zusammenstellung nicht im Frühjahr auftreten. Um ganz sicherzugehen, dass die Pollen nicht aus der umgebenden Erde stammten, in der die Toten begraben waren, wurden die Befunde aus den Nasenhöhlen mit Stichproben aus dem Kreuzbein (das keine Knochenhöhle bildet) verglichen. Dort fanden sich so gut wie keine Pollen.
    Wenn die Annahme stimmt, dass das Massengrab entweder von der Gestapo oder der GPU stammt, kann die Gestapo wegen der vielen Sommerpollen als Täterin sicher ausgeschlossen werden. Die Toten in der Magdeburger Innenstadt waren folglich Opfer des DDR-Aufstands.
    Auch in anderen Fällen klären Sporen, wo ein Mensch

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