MORDMETHODEN
in Personalunion und hielten sich in ihrem Zimmer auf.
Um zehn Uhr abends lief die väterlich verordnete Schonfrist für den kleinen Charles ab, und Betty ging in sein Zimmer,um ihn kurz zur Toilette zu bringen. Das Licht schaltete sie nicht an, damit der Junge sich nicht unnötig erschreckte. Stattdessen zog sie das Fenster zu und knipste das Elektroöfchen an. Dann bemerkte sie, dass der kleine Lindy verschwunden war.
Betty Gow fragte die Mutter, ob sie Charles jun. zu sich genommen habe. Diese war jedoch schon umgezogen und meinte, der Colonel müsse das Kind wohl bei sich haben. Dort war es aber auch nicht. Lindbergh rannte daraufhin ins Kinderzimmer, schaltete das Licht an und sah, dass das Bett nicht zerwühlt, aber leer war. Gefasst sagte er zu seiner Gattin: »Anne! Sie haben unser Baby gestohlen.«
Nun ging es drunter und drüber. Der Butler telefonierte mit der Polizei, Lindbergh lud sein Gewehr, rief: »Fasst nichts an!«, und rannte aus dem Haus. Die drei Frauen durchsuchten derweil ergebnislos sämtliche Räume, trotz des Gebots, nichts anzufassen. Schließlich saßen alle aufgeregt und ratlos im Wohnzimmer, während der Butler zu Lindberghs Auto lief und mit dem Colonel den noch unbefestigten Weg abfuhr, der zum Haus führte. Mit einer Taschenlampe leuchteten sie abwechselnd nach links und rechts, doch auch hier fanden sie keine Spur des Kindes.
Nun durchsuchte Lindbergh noch einmal das Kinderzimmer. Die Frauen hatten bislang übersehen, dass unter dem Fenster mit der nicht verschließbaren Lade ein Briefumschlag lag. Lindbergh verbot auch, den Umschlag anzufassen. Sogar den beiden Polizisten, die kurz darauf eintrafen, untersagte er dies. Der Umschlag blieb daher unberührt liegen, bis der Erkennungsdienst eintraf.
Eine weitere Überraschung ergab sich, als die beiden Polizisten, ebenfalls mit Taschenlampen ausgestattet, um das Haus gingen. Unter dem Fenster des Kinderzimmers fanden sich im Matsch Abdrücke von Schuhen sowie von einer Leiter. Die Ermittler folgten den Schuhspuren, die zu einer hingeworfenen Leiter führten. Es war ein selbst zusammengezimmertesDing, das aufgerichtet bis zum Kinderzimmer im ersten Stock reichte.
Die Leiter war transportabel und konnte in drei Teile zerlegt werden. Die Endstücke wurden zum Aufbau ineinander geschoben und mit Holzbolzen festgesteckt. Dadurch erhielt das sechs Meter lange Gerüst genügend Halt, um nicht zusammenzufallen. Der unbekannte Hobbyschreiner besaß offenbar eine gewisse Geschicklichkeit. Vom Leiterbau verstand er aber nicht viel.
Die Tritte waren vergleichsweise dünn und nur auf Längsstreben aufgenagelt. Noch ungewöhnlicher war, dass die Sprossen je einen halben Meter voneinander entfernt angebracht waren. Wer auch immer diese Konstruktion ersonnen hatte, sie eignete sich nur für jemanden mit sehr langen Beinen. Da die Leiter sonst nirgends stabilisiert werden konnte, erforderte sie einen geübten Kletterer. Ein Laie würde das Gebilde – auch ohne matschigen Boden und Wind – nur ungern betreten.
Neben der Leiter lag ein alter Meißel im Schlamm. Der Täter war damit wohl von außen ins Zimmer gedrungen. Über die Leiterkonstruktion hatte er das Kind hinuntergetragen. Beim Weglaufen hatte er den Meißel weggeworfen. Das Kind musste er vermutlich in einen Rucksack gesteckt haben, denn die Hände konnte er wohl kaum frei haben, weder beim Klettern auf der Leiter noch bei deren Abtransport.
Charles Lindbergh behielt bei aller Aufregung einen erstaunlich ruhigen Kopf. Sein ganzes Leben war kontrolliert und ordentlich gewesen, und auch hier hatte er die Lage im Griff. Polizisten, die seine Führungsrolle nicht anerkennen wollten, räumte er in den folgenden Tagen aus dem Weg, indem er bei deren Vorgesetzten sein Wort als amerikanischer Held in die Waagschale warf. So blieb er bis zum Abschluss des Falls derjenige, der die Fäden in der Hand hielt.
Kaum hatte die Nachricht von der Entführung des Kindes New York erreicht, sprerrte das New York Police Department(NYPD) die Washington Bridge in Richtung New Jersey, um alle Reisenden zu überprüfen. Gleichzeitig machte sich die Staatspolizei von New Jersey auf den Weg nach Hopewell. Als die State Troopers auf ihren Motorrädern eintrafen, durchsuchten auch sie noch einmal gründlich das Gelände. Dabei gruben sie mit ihren Stiefeln ihre eigenen Spuren in den Schlamm rings ums Haus. Was immer an anderen Abdrücken dort gewesen sein mochte, war nun unter staatspolizeilichen Profilsohlen
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