MORDMETHODEN
Charles Lindbergh jun. gefunden. Sie lagen wie hingeworfen nahe einer kleinen Straße etwa viereinhalb Kilometer von Lindberghs Haus entfernt auf dem Boden. Der Leichenbeschauer vor Ort meinte, dass das Kind seit dem Zeitpunkt seines Verschwindens tot sein mochte. Eine gerichtliche Leichenöffnung wurde nicht durchgeführt, da der Vater eine sofortige Einäscherung und Beerdigung seines Sohnes anordnete. Damit waren allerdings auch die letzten direkten Spuren des Täters in Rauch aufgegangen. Nun gab es für die Polizei nur noch drei Richtungen, in die sie hoffen durfte – indirekte Beweismittel, Verrat oder die Hilfe von Kommissar Zufall.
Was den Verrat anbetraf, hatte sich Lindbergh schon vorher umgetan. Seiner Meinung nach konnten ihm New Yorker Gangster am ehesten helfen, seinen Sohn den Fängen anderer Verbrecher zu entreißen. Der Gedanke war zwar nicht ganz abwegig, blockierte aber die Polizeiarbeit. So ließ Lindbergh unter anderem einen der Erpresserbriefe in die Unterweltsickern. Das ermöglichte einerseits seinen Verbindungsleuten, ihre Suche im Morast von Manhattans Unterwelt aufzunehmen. Andererseits konnte nun jeder Trittbrettfahrer die vormals geheime »Unterschrift« unter dem Brief in Ruhe betrachten.
Einige Polizisten fragten sich derweil zu Recht, warum gerade ein Täter aus New York den Jungen entführt haben sollte. Denn wer auch immer das Haus ausgespäht und Verbindung zum Personal unterhalten hatte, würde wohl kaum eine tägliche Spähreise von New York nach Hopewell antreten und dabei irgendwann mit hoher Wahrscheinlichkeit auffallen; immerhin würde er jeden Tag zwischen zwei Bundesstaaten pendeln.
Wie auch immer, die Verbindung zwischen Lindbergh und Manhattans Halbwelt stellte ein junger Anwalt her, der in der gleichen Kanzlei arbeitete wie Lindberghs Hausanwalt Breckinridge. Solche Kontakte waren während der Prohibition leicht zu knüpfen. Der illegale Handel mit Alkohol blühte und brachte hin und wieder auch Anwälte mit den Herren des neuen Gewerbes zusammen.
Schon zwei Tage nach der Entführung saß Mickey Rossner, eine zweifelhafte Figur, im Wohnzimmer der Lindberghs und forderte 2500 Dollar als Vorauszahlung sowie das Recht, uneingeschränkt ermitteln zu dürfen, ohne dabei von der Polizei behindert oder observiert zu werden. Einen besser bezahlten Freibrief hat es wohl noch nie für einen Unterweltler gegeben. Was Rossner mit dieser bezahlten Erlaubnis anstellte, sei der Fantasie der Leser überlassen.
Am nächsten Tag verkündete Lindbergh, er wünsche direkten Kontakt zu den Entführern. »Frau Lindbergh und ich … drängen diejenigen, die das Kind haben, einen beliebigen Verhandlungsführer zu benennen«, schrieb der Colonel in einem offenen Brief. Er versprach dem Unterhändler freies Geleit, offenes Aushandeln der Bedingungen und volle Vertraulichkeit. Damit hatte Lindbergh jede sinnvolle Polizeiarbeitendgültig zunichte gemacht. Norman Schwarzkopf ließ sich mehrere Tage Zeit, bis er die polizeiliche Führung wieder in die Hand bekam. Doch da war es bereits zu spät für Taktik und Feinheiten.
Denn schon am 5. März erreichte die zweite Erpressernachricht die unglückliche Familie. Sie lautete: »Geehrter Herr: Wir haben Sie davor gewarnt, irgententwas Öffentlich zu machen und nun müssen Sie die Folgen tragen. Das heißt wir werden das Baby nicht herauskeben bis alles beruigt ist. Wir wollen ihn in guter Gesundheit zurücksenden. Unsere forderung war 50 000 aber nun müssen wir ihm eine weiteren Person geben und müssen das Baby vielleicht länger bei uns haben als erwartet Also erhöhrt sich der Betrag auf 70 000.«
Diesen Brief, den Lindberghs Unterhändler als Foto erhielt, machte in Manhattan bald die Runde. Die schweren Jungs taten sich mit dieser Information so wichtig, dass sogar ein Radioprediger seinen Finger hob und Lindberghs Helferwahl anprangerte. In dieser immer verworreneren Situation besann sich ein Mann auf die Kriminalistik. Es war Ed Mulrooney, Chef der New Yorker Stadtpolizei. Wenn es schon keine brauchbaren Spuren mehr gab, ließen sich vielleicht wenigstens brauchbare Beobachtungen anstellen.
Da der zweite Brief der Entführer um 21 Uhr in einem bestimmten Stadtbereich Brooklyns abgestempelt worden war, vermutete Mulrooney, dass die Entführer in Brooklyn lebten. Sollten sie noch einen Brief absenden, dann unter den Augen des NYPD. Jede Sendung sollte über eine an den Briefkästen zusätzlich angebrachte Klappe von Polizisten sofort wieder
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