MORDMETHODEN
Eltern entfernt. Sofort rief sie die Polizei an und erzählte die ganze Geschichte.
Die Frau hatte sich die Buchstaben auf dem Nummernschild jedoch immer noch nicht richtig eingeprägt. Sie gab an, es laute »660 NFM« oder »660 MFN«. Die richtige Nummer, es war natürlich die von Paul Bernardos Auto, war »660 HFH«. Außerdem sagte die Anruferin, der Wagen sei ein Mazda, vielleicht das Modell GXL. Aber auch das stimmte nicht.
Zum Glück sah die Frau den Wagen am nächsten Tag wieder. Sie verständigte erneut die Polizei und gab dieses Mal das richtige Kennzeichen durch. Auch den Wagentyp hatte sie korrekt notiert: ein goldfarbener Nissan 240 SX. Doch Paul Bernardos Vertrag mit seinem Schutzengel war noch nicht abgelaufen. Die Meldung wurde von einer freundlichen Dame notiert – und verschwand, wie üblich, im Akten-Nirwana.
Biologische Spuren und eine unmögliche Fahrzeugfahndung
Trotzdem neigte sich Paul Bernardos unbeschreibliche Glückssträhne allmählich ihrem Ende zu. Im April 1992, über ein Jahr nachdem er in Scarborough bei den freundlichen Beamten gesessen und eine ergebnislose Befragung hinter sich gebracht hatte, arbeitete sich Detective Irwin durch die Laborergebnisse der damals entnommenen Proben. Zweihundertdreißig Männer hatten einen Blutstropfen abgegeben. Paul Bernardos Gewebemerkmale glichen denen im Sperma, das an der sichergestellten Unterhose eines Opfers des »Scarborough Rapist« gefunden worden war. Es gab nur noch vier weitere Männer, die nach dieser Untersuchung als Spurenleger infrage kamen.
Irgendetwas hätte nun geschehen müssen: ein Besuch bei Bernardo, eine Durchsuchung oder eine weitere Befragung.Zwar lebte der Verdächtige nicht mehr in Scarborough, aber über seine Eltern wäre er jederzeit zu finden gewesen. Da es eine gute Beschreibung des Täters gab, hätte Bernardo als einer von nur fünf Verdächtigen keine Chance gehabt zu entkommen. Doch der Apparat reagierte nicht.
Gleichzeitig meldete sich eine Zeugin, die vor kurzem aus ihrem fahrenden Auto heraus einen kleinen Kampf beobachtet hatte. Dabei hatte eine Person eine andere in (oder um oder an) ein stehendes Auto gezogen. Die Zeugin war sich der Sache nicht sicher und meinte zunächst, es sei ein Raufen aus Spaß gewesen. Als sie aber von der Fahndung nach einem vermissten Mädchen hörte, das genau dort verschwunden war, ging sie zur Polizei.
Die Beamten wollten sofort wissen, wie das Auto ausgesehen habe. Obwohl die Zeugin abwinkte und meinte, sie habe von Autos nicht die geringste Ahnung und wisse nur, dass der Wagen hell lackiert war, ließ die Polizei nicht locker. Das war die ersehnte Spur zum Täter! Man legte der Frau also stapelweise Bücher und Zeitschriften mit Bildern von Autos vor und fuhr mit ihr ohne Erfolg durch die Automobilhäuser. Nach langem Hin und Her sagte sie, dass es sich vielleicht um einen Camaro gehandelt haben könnte. Damit begann eine der aberwitzigsten Fehlermittlungen in der Geschichte der Kriminalistik …
Zuerst startete die Polizei eine Datenbankabfrage. Dazu ließ sie vom Verkehrsministerium alle Autobesitzer, die vor 1992 einen Camaro angemeldet hatten, heraussuchen. Gleichzeitig wurde eine Straßenfahndung nach einem creme- oder elfenbeinfarbenen Auto desselben Modells ausgerufen. Natürlich war das sinnlos. Der Wagen, in den die Bernardos das Mädchen gezerrt hatten, war ein goldfarbener Nissan. Im Vorbeifahren und aus den Augenwinkeln konnte die Zeugin das aber nicht erkennen.
Als die Liste aus dem Verkehrsministerium schließlich eintraf, rieben sich die Ermittler entsetzt die Augen. In der ProvinzOntario gab es 125 000 Camaros. Knapp 5000 davon gehörten Personen, die im Einzugsgebiet der Verbrechen lagen. Doch die Polizisten krempelten die Ärmel hoch. Fünftausend Camaros, das war mit etwas Mühe zu schaffen. Und die Öffentlichkeit sollte diesmal mithelfen.
Eine Stadt wird paranoid
Von nun an tat jeder Camaro-Fahrer gut daran, sein Auto in der Garage zu lassen. In der durch die Vermisstenmeldungen verunsicherten Stadt, in der kein Mädchen mehr allein vor die Tür durfte, war das Jagdfieber ausgebrochen. Zehn Meter breite, beleuchtete Poster an den Straßen zeigten das gesuchte Auto und baten um einen Anruf bei der Polizei.
Die junge Frau, die Paul Bernardos Wagen schon zweimal bei der Polizei gemeldet hatte, sah den goldfarbenen Nissan genau zu dieser Zeit, am 18. April, wieder. Zwar wusste sie, dass alle Welt nach einem cremefarbenen Camaro suchte, aber das
Weitere Kostenlose Bücher